In einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Jüdischen Volkshochschule und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit las der irakische Schriftsteller Najem Wali am 6. Mai aus seinem 2008 erschienenen Buch „Reise in das Herz des Feindes“. Nachdem er schon lange davon geträumt hatte, eines Tages Israel zu besuchen, erhielt der 198o vor den Henkern von Saddam Hussein zunächst nach Hamburg geflohene Wali im Jahr 2007 überraschend Gelegenheit dazu. Die Universität Haifa lud ihn dazu ein, an einer Konferenz zum Thema „Quo vadis Irak?“ teilzunehmen.
Einmal dort, reiste er gemeinsam mit seiner Frau Imaat durchs Land und traf auch auf Juden aus dem Irak, die mit ihm die schmerzliche Erinnerung an die alte Heimat verband und die wie er das Land verlassen mußten. Sein Buch ist dem jüdischen Arzt Dawud Gabbay gewidmet, der ihn rettete, nachdem der 5jährige einen Viertel Liter Petroleum getrunken hatte. Seinen Vater hatte er damals mit den Worten getröstet: „Von jetzt an müssen Sie keine Angst mehr um ihn haben. Wer so viel Petroleum trinkt, dem wird ein langes Leben gewährt.“ Der Wunsch des Autors, seinen ins Exil gegangenen Lebensretter eines Tages wieder zu treffen, erfüllte sich nicht, dessen endlich gefundener Sohn konnte ihm nur noch sagen, dass er kurz zuvor in Frankreich verstorben war. Aber beide verbindet heute eine innige Freundschaft.
Der Titel des Buches bezieht sich auf einen in den 60er Jahren üblichen Propaganda-Slogan der PLO in Radio Bagdad. Immer wenn die Fedaiyin (angeblich!) einen Militärschlag in Israel ausgeübt hatten, brach der Sender sein Programm ab und verkündete, dass ein Kämpfer eine gelungene Operation „im Herzen des Feindes“ ausgeübt habe. Der Name „Israel“ wurde damals wie bei vielen Muslimen heute noch nicht in den Mund genommen.
Lassen wir den Autor selbst zu Wort kommen. Im Kölner Stadt-Anzeiger stellte er am 13.05.2008 sein Buch vor, das in arabischer Sprache bereits 2007 erschienen war:
„Wenn in Israel oder bei uns jemand zur Welt kommt, dann steckt ihm die Geschichte des arabisch-israelischen Kampfes schon in der Nabelschnur. Seit der Ausrufung des Staates Israel am 14. Mai 1948 ist Israel für die arabischen Staaten offiziell das Feindesland Nummer eins geblieben.
Doch eine Frage beschäftigte mich schon als Kind. Wie konnte es diesem irgendwie „allmächtigen“ Land gelingen, „die arabische Nation in Lethargie versinken zu lassen“, wie es die offiziellen Reden glauben machten? Warum glaubten sie zugleich, dass der „Kleinstaat der zionistischen Banden“ unweigerlich „von der Landkarte verschwinden“ werde? Eine überzeugende Antwort fand ich nicht. Für mich gab es auch keine Verbindung zwischen der „Judenfrage“ und der „Palästinafrage“, zwischen den Opfern des Holocaust und den Opfern der israelischen Staatsgründung.
Vielleicht musste ich warten, bis der französische Philosoph Jean-Paul Sartre Israel besuchte, damit ich seinen wichtigen existenzialistischen Grundsatz entdeckte: Lerne erst den anderen kennen, bevor du dir eine Meinung über ihn bildest! Diesen Weg weiterzuverfolgen, bedeutete das nicht mehr, als dem Aufruf nach Anerkennung Israels nachzukommen? Bedeutete das nicht, den anderen anzunehmen und als Partner willkommen zu heißen? Das würde bedeuten, der Tatsache zuzustimmen, dass die Juden neben den Arabern in Palästina leben und beide Seiten verpflichtet sind, ohne Einmischung eines Dritten nach einer Lösung zu suchen, die beide Völker zufriedenstellte. Es gibt keinen Frieden, ohne unmittelbar mit dem anderen zu sprechen und seine Lebensweise kennenzulernen.
Warum fürchten die Herrschenden bei uns diese Wahrheit? Sie fürchten, ihre Landsleute würden erkennen, dass Stillstand und Verwüstung der arabischen Gesellschaften nur in einer Hinsicht mit dem arabisch-israelischen Kampf zusammenhängen: Friede mit Israel wäre das Ende des Opiumrauschs, mit dem die arabischen Herrscher ihre Völker betäuben. Er verursacht die Schwierigkeiten, an denen angeblich Israel schuld ist.
Das Ausbleiben wirtschaftlichen Aufschwungs, die Verschlechterung des Bildungsniveaus, die Ausbreitung fundamentalistischer Ideologien haben mit fehlender Demokratie und den verdorbenen Herrscherfamilien zu tun, mit ihrer Prunksucht und Geringschätzung für ihre Völker – nicht mit Israel. Rohstoffe und menschliche Arbeitskraft würden in den arabischen Ländern für einen Aufschwung ausreichen. Aber was sehen wir? Die Auflösung der Mittelschicht, weil die Politik die persönlichen Freiheiten beschneidet. Bestechung und Günstlingswirtschaft; die Tüchtigen und Gebildeten wandern aus. Was hat Israel damit zu tun?
Israel, das sich in demselben Kampf befindet wie die Araber, hat in derselben Zeit eine moderne Gesellschaft von erstaunlicher wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Stärke aufgebaut. Ja, es gibt Militarismus in Israel. Man muss über die brutale Besatzungspolitik sprechen. Doch überlasse ich dies den israelischen Intellektuellen selbst. Sie sollen für den Frieden kämpfen, so wie es manche bei uns allmählich tun.
Als ich 2007 durch Israel reiste, wurde mir klar, warum sich die arabischen Staaten davor fürchten, dass einer ihrer Landsleute Israel besucht. Sie haben Angst, der Reisende könnte Vergleiche ziehen – etwa zwischen den Rechten der Bürger in Israel und jenen in der Heimat. Er würde den „Arabern von ’48“ begegnen, jenen Palästinensern, die Israels Armee nicht zu vertreiben vermochte. Er würde feststellen, dass diese Palästinenser im Prinzip dieselben Grundrechte genießen wie alle anderen Staatsbürger. Dass sie ihre Meinung äußern und ihre Traditionen ausleben dürfen, ohne Furcht, ins Gefängnis geworfen zu werden. Er würde Palästinenser treffen, die ihre Volksvertreter wählen und ihre eigenen politischen Parteien gründen. Wenn der Reisende die Lage dieser Leute mit der seinen vergleicht oder mit der Lage der Palästinenser, die in seinem Land leben – dann könnte er plötzlich das Unrecht sehen, den Betrug, dem Araber in ihren Heimatländern ein Leben lang im Namen „des besetzten Palästinas“ ausgesetzt sind.
Israel hat die Demokratie selbst unter dem Druck des Krieges nicht einfach aufgehoben. Die Bürger in arabischen Ländern aber haben keinen Wert für ihre Staatsführer.
Meine „Reise ins Herz des Feindes“ war der Versuch, die Richtung einzuschlagen, die der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagip Mahfuz 1978 in einem Brief an seinen israelischen Kollegen Sasson Somekh, formuliert hat: „Ich träume von einer Epoche, in der Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit diese Region, gesegnet mit den Fackeln der Erkenntnis und den Prinzipien des erhabenen Himmels, zum Leuchten bringen.“
Die Erfüllung seines Traumes erlebte er nicht mehr. Nagib Mahfuz starb 1996. 1994 hatte er einen islamistischen Mordanschlag überlebt. Ein Jahr später wurde Jitzchak Rabin, Israels Premier, wegen seiner Friedenspolitik von einem israelischen Extremisten ermordet.
Hoffentlich gibt es weiter auf beiden Seiten Menschen, die trotz Einschüchterung und Lebensgefahr für den Frieden unermüdet kämpfen. 60 Jahre nach der Gründung des Staates Israel möchte ich an die Vision glauben, die Mahfuz formulierte.
Aus dem Arabischen von Imke Ahlf-Wien
Der 1956 in Basra geborene Schriftsteller floh 1980 vor Saddam Hussein. Heute lebt er in Hamburg. Zuletzt erschien sein Roman „Jussifs Gesichter“ (Hanser-Verlag). Zum Israel-Jubiläum unternahm er eine „Reise ins Herz des Feindes“, so der Titel seines Buches, das im Herbst auf Deutsch, Englisch und Hebräisch erscheint.“
Quelle:http://www.ksta.de/html/artikel/1209912074141.shtml
Inzwischen ist das Buch lange erschienen und in jedem Buchhandel zu bestellen:
Najem Wali, Reise in das Herz des Feindes
Ein Iraker in Israel – übersetzt aus dem Arabischen von Imke Ahlf-Wien
Erscheinungsdatum: 04.02.2009
Flexibler Einband, 240 Seiten
Preis: 17.90 € (D) / 31.90 sFR (CH) / 18.40 € (A)
ISBN 978-3-446-23302-7
Hanser Verlag
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