Reinhold Robbe, Chef der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, über Sonntagsreden, Solidarität und das Nachtleben in Tel Aviv
Die Welt: Der Zweck der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist es, Israel-Solidarität zu organisieren. Wie macht man das?
Die Welt: Das Israel-Bild der Deutschen hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Woran liegt das?
Reinhold Robbe: Wir werden mit Israel meist nur konfrontiert, wenn es negative Schlagzeilen gibt. Dabei rückt in den Hintergrund, dass es sich bei Israel – im Gegensatz zu allen seinen Nachbarn – um eine offene und pluralistische, demokratische Gesellschaft handelt. Wir Mitteleuropäer nehmen nicht wahr, was es für die Israelis heißt, täglich mit der massiven Bedrohung ihrer elementaren Sicherheit zu leben.
Die Welt: Ist dieses negative Bild inzwischen auch in der deutschen Politik angekommen?
Reinhold Robbe: Ja. Das Parlament ist auch hier ein Spiegelbild der Gesellschaft. Nicht alle Abgeordneten haben ja automatisch eine Affinität zu Israel. Das betrifft alle Parteien – und die Linke macht ja ohnehin keinen Hehl daraus, sich im Zweifelsfall immer gegen Israel zu stellen. Es nutzt aber nichts, das zu beklagen. Denn wir von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft müssen uns vorwerfen, die Kommunikation mit den politischen Funktionsträgern in den vergangenen Jahren vernachlässigt zu haben. Eigentlich sind wir gut mit dem Bundestag vernetzt. Aber das müssen wir auch nutzen.
Die Welt: Die deutsche Außenpolitik scheint in letzter Zeit eine deutlich härtere Gangart gegenüber Israel einzuschlagen. Das einstimmige Votum des Bundestags für die Aufhebung der Gaza-Blockade, das deutsche Ja im UN-Sicherheitsrat für die Verurteilung der israelischen Siedlungspolitik – das ist ein Bruch mit der Tradition, im Nahen Osten nie einseitig gegen Israel Partei zu ergreifen. Was steckt hinter dieser Veränderung? Das Gefühl, sich von der deutschen Vergangenheit nicht mehr einengen lassen zu wollen?
Reinhold Robbe: Tatsächlich haben wir aufgrund unserer Vergangenheit ein besonderes Verhältnis zu Israel. Das wird auch immer so bleiben. Aber dies sollte nicht alleiniger Beweggrund unseres Handelns sein. Vielmehr muss und kann unsere Beziehung zu Israel immer wieder neu mit Leben gefüllt werden. Es kann nicht sein, dass führende Politiker in Sonntagsreden dieses besondere Verhältnis hervorheben – wenn es dann aber um kritische Fragen geht, mehr oder weniger im allgemeinen Strom der populären Israel-kritischen Auffassungen mitschwimmen.
Die Welt: Meinen Sie insbesondere Außenminister Guido Westerwelle?
Reinhold Robbe: Wir haben durchaus positiv wahrgenommen, dass Israel eines seiner ersten Reiseziele als neuer Außenminister war. Gelegentlich kann man auch heraushören, dass er sich Israel verbunden fühlt. Aber um es ganz deutlich zu sagen: Das Existenzrecht Israels positiv herauszustellen kann nicht ausreichen. Das Existenzrecht Israels ist etwas Selbstverständliches, das muss man nicht eigens betonen. Mich machen Leute skeptisch, die immer wieder darauf hinweisen. Das impliziert ja, dass die Frage dieses Existenzrechts diskutabel sei. Für uns Deutsche steht es aber vollkommen außer Frage.
Die Welt: Hat mangelndes Verständnis für Israels Ängste aber nicht auch etwas mit der Politik der dortigen Regierung zu tun?
Reinhold Robbe: Ich sage ja keineswegs, dass ich alles kritiklos hinnehmen könnte, was die Regierung Netanjahu beschließt. Sie hat die vergangenen Jahre nicht genutzt, um im Schulterschluss mit ihrem größten Verbündeten, den USA, aber auch mit anderen Staaten nach politischen Lösungen der immensen Probleme zu suchen. Wir müssen aber auch nüchtern erkennen, dass die Signale aus Europa bisher nicht so waren, dass man daraus in Israel große Hoffnung schöpfen konnte.
Die Welt: Wie diskutiert die Deutsch-Israelische Gesellschaft die Fehler der Regierung Netanjahu?
Reinhold Robbe: Natürlich diskutieren auch wir zuweilen recht munter über die derzeitige Regierung in Jerusalem. Nur steht das bei uns nicht im Vordergrund. Denn wir wissen, wie gefestigt und lebendig die Demokratie in Israel ist. Dort wird teilweise heftiger und offener diskutiert als hierzulande. Nein, unsere Aufgabe ist es, auf die vielfältigen Verflechtungen zwischen beiden Ländern in allen Bereichen – dazu gehören insbesondere Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft – aufmerksam zu machen.
Die Welt: Zum Beispiel?
Reinhold Robbe: Allein in Berlin leben bis zu 10 000 Israelis. Das wissen die wenigsten. Es gibt viele interessante Verbindungen zur kulturellen Szene in Tel Aviv. Insbesondere junge Israelis fühlen sich in Berlin unglaublich wohl. Solcherlei muss die Deutsch-Israelische Gesellschaft künftig viel deutlicher ins Gedächtnis rufen – da haben wir viel Nachholbedarf. Da ist auch Tatkraft gefragt. Warum haben wir in unserer deutschen Hauptstadt ein französisches oder rumänisches Kulturzentrum und kein israelisches? Daran hat bislang offenbar niemand gedacht.
Die Welt: Dann machen Sie doch erste Schritte.
Reinhold Robbe: Genau das will ich und bin auch schon dabei, dies vorzubereiten. Dazu gehört, dass die Deutsch-Israelische Gesellschaft viel mehr als bisher für junge Leute attraktiv werden muss. Jedes Jahr gehen bis zu 1000 junge Deutsche für längere Zeit nach Israel – teilweise bleiben sie ein Jahr lang dort. Das Land ist eben außerordentlich spannend.
Die Welt: Inzwischen fliegen einige auch nur übers Wochenende nach Tel Aviv. Das Nachtleben dort gilt als eines der weltweit besten.
Reinhold Robbe: Das kommt noch hinzu. Da liegt ein enormes Potenzial, das wir nutzen müssen. Denn die allermeisten, die einmal in Israel waren, kommen mit unglaublich positiven Eindrücken zurück. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft soll das Netzwerk aller Israel-Freunde werden.
Die Welt: Stattdessen leisten Sie sich einen Fraktionskampf: Einige Kritiker verlangten sogar, Politiker aus dem Präsidium der Gesellschaft auszuschließen, die sich zu kritisch über Israel geäußert hätten.
Reinhold Robbe: In einigen Arbeitsgemeinschaften unserer Gesellschaft hatte sich in der Tat Frust angestaut. Ich habe auch durchaus Verständnis für jene, die sich darüber aufgeregt haben, dass der Bundestag im vergangenen Mai ganz ohne Not einstimmig eine Resolution verabschiedete, die von Israel die Aufhebung der Gaza-Blockade forderte. Das war völlig überflüssig – ein Betriebsunfall, der sich nicht wiederholen darf.
Die Welt: Woher kommt eigentlich bei Ihnen das Engagement für Israel?
Reinhold Robbe: Bereits als ganz junger Mensch hatte ich das Bedürfnis, etwas dafür zu tun, dass sich das nicht wiederholt, was zwischen 1933 und 45 in Deutschland geschehen ist. Dann hatte ich das große Glück, schon im Alter von 15 Jahren vier Wochen lang Israel kennenlernen zu dürfen – und zwar in einem Bus voller Theologen. Das waren alles reformierte Christen, die sich dort auskannten wie in ihrer Westentasche. Die haben mir jeden Stein erklärt, den wir gesehen haben. Das war – neben Erlebnissen wie dem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem – ein derartig bewegendes Erlebnis, dass mich Israel nie wieder losgelassen hat.
Das Gespräch bei Welt Online vom 7. April 2011 führten Fritz Friedebold und Richard Herzinger