Linke-Fraktionschef Gregor Gysi will das Thema Antisemitismus in den eigenen Reihen begraben und setzt eine Resolution durch. Damit beginnt der interne Meinungskampf erst richtig. Mancher fühlt sich an SED-Zeiten erinnert.
In der Bundestagsfraktion der Linkspartei sind wegen einer Resolution gegen Antisemitismus massive Konflikte ausgebrochen. Nach Einschätzung mehrerer Abgeordneter droht eine Spaltung.
Fraktionschef Gregor Gysi hatte den Beschluss vom Mittwoch, der sich gegen Antisemitismus in der Gesellschaft und in der eigenen Partei verwahrt, mit einer indirekten Rücktrittsdrohung durchgesetzt. Im Text erklären die Abgeordneten, sich „weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ,Gaza-Flottille’“ zu beteiligen.
Um des Bildes der Geschlossenheit willen verließen etliche Fraktionsmitglieder, unter ihnen Annette Groth, Heike Hänsel und Ulla Jelpke, die Sitzung. Wie brisant das Thema ist, zeigt sich daran, dass die die Fraktionsspitze trotz dieser Umstände die „Einstimmigkeit“ des Beschlusses hervorhob.
Abgeordnete fallen Gysi in den Rücken
Inzwischen ist dieser Eindruck hinfällig. Einzelne Abgeordnete fallen Gysi offen in den Rücken. Auf Facebook schreibt der Aachener Parlamentarier Andrej Hunko, Gysi gehe „der Arsch auf Grundeis, vor allem wegen des rechten Flügels, der offen mit Spaltung der Partei droht“. Annette Groth, die 2010 an der „Gaza-Flottille“ teilnahm, spricht in einer persönlichen Erklärung von einem „gefährlichen Beschluss“ mit undemokratischem Charakter, der nur unter großem psychologischen Druck zustande gekommen sei und Andersdenkende aus der Debatte ausschließen solle. Laut Hunko fühlten sich ostdeutsche Abgeordnete „an SED-Zeiten erinnert“.
Die Ost-Abgeordnete Halina Wawzyniak antwortete: „Ich verwehre mich mit aller Schärfe gegen die Unterstellungen, die du verbreitest.“ Auch Bundesschatzmeister Raju Sharma griff ein: „Andrej: Nee, wirklich: Ehrlicher wäre es gewesen, in der Fraktion mit ,nein’ zu stimmen.“
Auch in Rundmails schlägt sich der Konflikt nieder. Der Abgeordnete Alexander Ulrich schreibt: „Was tun wir unserem Fraktionsvorsitzenden an, dass er indirekt mit Rücktritt drohen musste?“ Offensichtlich sei „unsere Not doch größer, als wir uns selbst zugestehen wollen. Wenn ab jetzt bei jedem Thema ein Teil unserer Fraktion mit Spaltung droht, erwarten wir schöne Zeiten.“
Die Antisemitismus-Resolution, den die Fraktionsführung nach vorangegangenen heftigen Auseinandersetzungen über antisemitisches, israelfeindliches Gedankengut in der Linkpartei beschließen lassen wollte, ist nicht nur deshalb heikel, weil zwei amtierende Parlamentarierinnen und ein ehemaliger Abgeordneter selbst an der ersten „Gaza-Flottille“ vor einem Jahr beteiligt waren. Vielmehr stellt der Nahost-Konflikt eine Art Demarkationslinie zwischen den Reformern der Partei auf der einen Seite und den „Stalinisten“ auf der anderen Seite dar.
Logik des Ost-West-Konflikts
Für West-Linke war und ist Israel der Brückenkopf des Westens in die arabische Welt. Ost-Genossen leiteten ihre Abneigung gegen Israel aus derselben Logik des Ost-West-Konflikts ab. Doch was die Wessis freiwillig wählten, können ihre vermeintlichen Parteifreunde aus dem Osten, denen es verordnet wurde, leichter abschütteln: die Antipathie gegen Israel.
Und so wird aus der Emanzipation vom Erlernten (Ost) in Verbindung mit dem Gepaukten (West) eine für die Partei unheilvolle Mischung.
Artikel von Jan-Philipp Hein in der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 10.06.2011.
Lesen Sie dazu auch den Artikel in der WELT vom 10.06. „Linke rebellieren nach dem Antisemitismus-Beschluss„