Richard Herzinger auf seiner Blogseite.
Immer wieder ist im Zusammenhang mit dem Streit um das iranische Atomprogramm das Argument zu hören, schließlich habe ja auch Israel die Atombombe, und solange dies so sei, könne man sie dem Iran nicht verwehren. Als Antwort darauf habe ich bereits vor eineinhalb Jahren eine ausführliche Analyse geschrieben – anlässlich der damaligen Atomabrüstungsinitiative Obamas in den UN, von der man übrigens seitdem nicht mehr viel gehört hat. Aus aktuellem Anlass gebe ich diesen Text im Folgenden noch einmal wieder. Obwohl sich seitdem in der Region einige bedeutende Veränderungen ergeben haben, behält er in seinen wesentlichen Aussagen volle Gültigkeit.
Dass Barack Obama die Vision einer atomwaffenfreien Welt zu einer zentralen Leitlinie seiner Außenpolitik gemacht hat, wirkt auf manchen weltpolitischen Akteur wie eine Einladung, lange bewährte internationale Sicherheitsstrukturen in Frage zu stellen. Namentlich im Nahen Osten versuchen arabische Staaten und neuerdings auch die Türkei, vor allem aber das iranische Regime, die Gunst der Stunde zu nutzen, um Israels – uneingestandene – Atombewaffnung anzuprangern und sie als die eigentliche Quelle der Unsicherheit in der Region hinzustellen. Von Israelhassern in aller Welt wird diese Idee dankbar aufgegriffen. In ihrer Darstellung soll die atomare Aufrüstung Irans als eine defensive Reaktion auf die angebliche nukleare Bedrohung der Region durch Israel erscheinen.
Bei dieser Debatte handelt es sich jedoch um ein teils verlogenes, teils gezielt propagandistisch motiviertes Ablenkungsmanöver von den wirklichen Intentionen, die Teheran mit der Forcierung seines Atomprogramms verfolgt. Von den nuklearen Ambitionen des Irans sind die führenden arabischen Mächte in Wirklichkeit nämlich nicht weniger alarmiert als Israel selbst.
Israels offiziell geheim gehaltene Atombewaffnung dagegen haben weder Saudi-Arabien noch Ägypten und Jordanien jemals als eine Bedrohung empfunden. Ganz im Gegenteil – sie ist sogar ein zentraler Baustein jenes sicherheitspolitischen Status Quo, der die Machtposition dieser Staaten in der Region begründet.
Israel könnte keine expansive Macht werden, selbst wenn es wollte
Die arabischen Führer wissen nur zu gut, dass Israel mit seinem atomaren Arsenal keine expansiven Absichten verfolgen kann. Denn selbst wenn der kaum denkbare Fall eintreten würde, dass in Jerusalem ein wahnsinniger israelischer Führer die Macht ergreifen würde, der ägyptisches, saudisches oder jordanisches Territorium erobern wollte, wüssten sich die arabischen Staaten durch ihre strategische Allianz mit den Vereinigten Staaten vor solchen Absichten effektiv geschützt. (In der Hinterhand steht zudem noch die Atommacht Russland.)
Tatsächlich aber stellt ein solches Szenario die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf. Das Territorium Israels ist etwa so groß wie das Hessens. Mit seiner Bevölkerung von knapp 7,5 Millionen Einwohnern (davon 20 Prozent Araber) kann Israel niemals zu einer expansiven Großmacht werden, selbst wenn es das wollte. Angesichts der Tatsache, dass der Staat Israel außer von Ägypten und Jordanien noch immer von keinem Staat der Region anerkannt wird, kann das strategische Ziel seiner Atombewaffnung in nichts anderem bestehen als der fortdauernden Sicherung seiner Existenz. Vollkommen abwegig ist aus exakt demselben Grund die Vorstellung, Israel könnte sein atomares Wissen jemals anderen Mächten zur Verfügung stellen.
Die anhaltende Besetzung arabischer Gebiete – des Westjordanlands und der Golanhöhen nämlich – durch Israel kann keinesfalls als Beleg für aggressive oder expansive Absichten des jüdischen Staates herhalten. Diese Besetzung arabischen Territoriums ist vielmehr die Folge israelischer Verteidigungskriege gegen eine Phalanx arabischer Staaten, die ihrerseits den Staat Israel erklärtermaßen nicht nur besetzen, sondern auslöschen wollten.
Über die 1967 besetzten Gebiete hinaus aber hat Israel keine weitere Ausweitung seines Einflussgebiets angestrebt. Im Gegenteil, seitdem hat es große Teile des okkupierten Territoriums, den Sinai und Gaza nämlich, wieder zurückgegeben und mit Ägypten und Jordanien Friedensverträge abgeschlossen. Außerdem erhebt Israel auch keinen dauerhaften territorialen Anspruch auf das Westjordanland, sondern hat sich der Perspektive der Gründung eines palästinensischen Staates auf diesem Territorium bereits international verpflichtet.
Sogar der Grenzverlauf des künftigen Palästinenserstaates ist im Wesentlichen zwischen Israel und der PLO bereits ausgehandelt. Auch wenn es in Israel Kräfte gegeben haben mag, die von einer Annexion des Westjordanlandes im Namen eines mythischen „Großisrael“ träumten, so gibt es für die Realisierung solcher Ideen heute keine realpolitische Chance mehr.
Stillschweigendes Einverständnis über Israels Atombewaffnung
Seit seiner Staatsgründung 1948 hatte sich Israel bis 1973 vier Mal in kriegerischen Auseinandersetzungen gegen eine Übermacht arabischer Staaten verteidigen müssen. Mit seiner stillschweigenden Atombewaffnung aber hat es die Möglichkeit weiterer arabischer Angriffskriege nachhaltig ausgeschaltet. Davon profitierten nicht zuletzt die arabischen Regimes, fiel doch damit der Druck weg, zu immer neuen militärischen Anläufen zwecks Zerschlagung des „zionistischen Staats“ zu rüsten. Namentlich die Herrscherschichten in den arabischen Ölstaaten konnten sich so ganz der Mehrung ihres märchenhaften Reichtums widmen.
Gegenüber radikalen Kräften in der arabischen Welt, die auf eine Mobilmachung gegen Israel drangen, konnten die arabischen Führer stets darauf verweisen, dass eine kriegerische Beseitigung Israels unmöglich sei. Indem Israel seine Atombewaffnung freilich nie öffentlich zugab, fiel für die arabischen Mächte auch der Druck weg, zwecks Gesichtswahrung ihrerseits nach Nuklearwaffen zu streben. Die stillschweigende Ausklammerung der israelischen Bombe aus dem offiziellen politischen Diskurs begründete eine Art Gentlemen´s Agreement im Nahen Osten, mit dem alle Beteiligten gut leben konnten
Dieser Zustand hat sich auch heute nicht grundlegend geändert. Wenn die Staaten der Arabischen Liga nun unter der Parole eines „atomwaffenfreien Nahen Osten“ gegen Israel Stimmung machen, so geschieht das nicht, weil sie Israels Nuklearwaffen ernsthaft wegverhandeln wollten. Sie nutzen das durch Obamas Anti-Atomeuphorie hochgespülte Thema vielmehr, um in der Palästinafrage Druck auf den jüdischen Staat – beziehungsweise auf Obama – auszuüben, und damit von ihrer Unfähigkeit abzulenken, den Nahost-Friedensprozess voranzubringen.
Jeder weiß, dass nicht Israels Rüstungsarsenal – und übrigens auch nicht seine Siedlungspolitik – das entscheidende Hindernis auf diesem Weg ist. Vielmehr ist die Gründung eines Palästinenserstaates so lange unmöglich, wie Gaza in der Hand der Hamas ist, die jede Einigung mit Israel ablehnt und die Herrschaft der alten Fatah-Riege in der Palästinensischen Autonomiebehörde militant in Frage stellt. Wie doppelzüngig deren Politik ist, zeigt unter anderem die Tatsache, dass sie Israel wegen der Absperrung des Gazastreifens geißelt, aber unter den Tisch fallen lässt, dass auch Ägypten die Grenze zu „Hamastan“ unerbittlich abgeriegelt hat.
Mit dem Kernproblem Hamas, das den Nahost-Frieden aufhält, ist das Problem Iran aufs engste verquickt. Denn ohne die iranische Unterstützung für die Hamas und die Hisbollah im Libanon – die von Teherans Verbündetem Syrien gegenwärtig offenbar mit Scud-Raketen ausgerüstet wird – könnten die Radikal-Islamisten den Friedensprozess längst nicht so effektiv torpedieren.
Arabische Staaten fürchten den Iran, nicht Israel
Die arabischen Führungsmächte haben längst begriffen, dass Irans Atomrüstung in erster Linie der Absicherung seines wachsenden, destabilisierenden Einflusses auf die Region dient. Deshalb haben sich Ägypten und Saudi-Arabien von den USA soeben mit neuen Raketenabwehrsystemen eindecken lassen. Diese konventionelle Aufrüstung erfolgte keineswegs aus Furcht vor Israel, sondern vor dem Iran.
Allerdings hat der Iran – unabhängig von dem politischen System, von dem er beherrscht wird – seinerseits tatsächlich ebenfalls legitime Gründe, sich um seine territoriale Sicherheit zu sorgen. Diese Bedrohung geht jedoch in keiner Weise von Israel oder von dessen Atomwaffen aus. Bevor das Regime der Islamischen Republik den Hass auf den jüdischen Staat zu seiner Staatsräson erklärt hat, pflegten Israel und der Iran sogar enge strategische Beziehungen, die aus dem gemeinsamen Interesse erwuchs, sich in einer arabisch dominierten Region zu behaupten.
Dieses gemeinsame Interesse würde vermutlich sofort wieder greifen, käme in Teheran eine Regierung an die Macht, die nicht von einer islamistischen Ideologie und ihrem apokalyptischen Judenhass geleitet wird. Und Israel würde umgehend aufhören, den Iran als eine Gefahr für seine Sicherheit zu betrachten, stoppte Teheran sein Atomprogramm sowie seine Aufrüstung extremistischer Kräfte in Palästina und im Libanon.
Kein geostrategischer Interessenskonflikt zwischen Iran und Israel
Einen gleichsam „natürlichen“ geostrategischen Interessenskonflikt zwischen Israel und dem Iran gibt es nicht. Schon gar nicht wäre es Israel je eingefallen, die staatliche Integrität Irans in Frage zu stellen. Umgekehrt aber ist es das iranische Regime, das täglich mit hasserfüllten Parolen zur Vernichtung des „zionistischen Gebildes“ aufruft.
Das iranische Trauma (sieht man von früheren Zeiten wie dem Zweiten Weltkrieg ab, als der Iran aus geostrategischen Gründen von britischen und sowjetischen Truppen besetzt wurde) ist vielmehr der Überfall durch den Irak im Jahre 1980, der einen blutigen achtjährigen Krieg nach sich zog. Wenn der Iran somit vor potenziellen Aggressoren auf der Hut sein muss, so handelt es sich dabei primär um arabische Nachbarn – und historisch gesehen um Russland, bzw. die Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg auf iranischem Territorium einen separatistischen Kurdenstaat gründete. Die Angst vor dem Zerfall des Vielvölkerstaats Iran ist spätestens seitdem ein zentrales Movens aller iranischen Regierungen.
Freilich hat sich die Gefährdungslage für den Iran seit dem Sturz Saddam Husseins drastisch verringert. Paradoxerweise hat kein anderes Land sicherheitspolitisch von der US-Invasion im Irak so sehr profitiert wie der Iran. Das Teheran ausgerechnet in dieser Situation mit solcher Eile auf die Fähigkeit zum Atomwaffenbau hinarbeitet, weckt nicht nur bei Israel und dem Westen, sondern bei allen Staaten in der Region höchsten Verdacht.
Israels Atombewaffnung zum Thema zu machen, dient nicht der Befriedung des Nahen Ostens, sondern würde im Gegenteil seine Destabilisierung beschleunigen. Die Verhandlungen mit dem Iran über sein Atomprogramm an die Frage der israelischen Nuklearwaffen zu koppeln, wie es Apologeten des Teheraner Regimes im Westen fordern (so der Exiliraner Mohssen Massarrat kürzlich in der taz), führen in die Irre.
Ein derartiges Junktim könnte zu nichts anderem führen als dem Iran einen weiteren Vorwand zu geben, seine Atomrüstung in aller Ruhe zu Ende zu führen. Denn dass Teheran sein Atomprogramm aus Furcht vor der israelischen Bombe betriebe, ist nichts als eine Propagandalüge. Zerrte man die Frage israelischer Atomwaffen in die internationale Öffentlichkeit, würde dies außerdem das mühsam gewonnene prekäre Gleichgewicht zwischen Israel und der arabischen Welt bedrohlich ins Schwanken bringen.
Atomabrüstung lässt sich nicht universell realisieren
Der Sonderfall Naher Osten zeigt, dass Fragen der Atomabrüstung und nuklearen Rüstungskontrolle stets konkret gestellt werden müssen. Eine hochfliegende universale Vision wie die von einer „atomwaffenfreien Welt“ hilft nicht, das nukleare Problem einzudämmen. Nicht, dass auf der Welt überhaupt Atomwaffen existieren, ist auf diesem Feld die zentrale Frage, sondern wer sie besitzt beziehungsweise den Besitz anstrebt, zu welchem Zweck und in welcher Konstellation.
Grundsätzlich sollte gelten, dass die atomare Entwaffnung bestehender Atommächte erst auf die Tagesordnung gesetzt werden darf, wenn es internationale Sicherheitsstrukturen gibt, die bisherige, nuklear abgestützte Gleichgewichtskonstellationen zuverlässig ersetzen können. Bis dahin gilt es primär, das Entstehen neuer Atommächte – und natürlich einen nuklearen Terrorismus – zu verhindern.
Im Fall Israels und des Iran bedeutet dies: Über das israelische Atomarsenal sollte und darf erst geredet werden, wenn alle Staaten in der Region das Existenzrecht Israels völkerrechtlich verbindlich anerkannt haben und die territoriale Sicherheit des jüdischen Staates international garantiert ist. Alles andere würde die Sicherheit in der Region nicht vergrößern, sondern diverse Akteure in Versuchung führen, erneut über die Möglichkeit einer kriegerischer Aggression gegen Israel nachzudenken.
Die iranische Atomrüstung hingegen stellt eine sicherheitspolitische Bedrohung ersten Ranges für die gesamte Region dar. Sie muss im Interesse aller unverzüglich gestoppt werden.