Konflikt um die jüdische Identität: Mehr als 60 Jahre nach der Staatsgründung spitzt sich der Konflikt zwischen orthodoxen und säkularen Israelis zu.
von Michael Borgstede
Es ist der 14. Mai 1948, als nur zwei Stunden vor der geplanten Proklamation des Staates Israel ein unerwarteter Streit zwischen den säkularen und religiösen Mitgliedern des provisorischen Staatsrates in Tel Aviv ausbricht. Denn während die Vertreter der religiösen Parteien darauf bestehen, Gott in dem Dokument zumindest zu erwähnen, sehen die sozialistisch-säkularen Zionisten darin ihr Recht auf Nichtgläubigkeit gefährdet.
Man einigt sich schließlich in letzter Minute auf die doppelsinnige Formulierung „Fels Israels“. Manchmal kann ein Fels nämlich auch Gott sein, wie im zweiten Buch Samuel 23,3 oder im ersten Buch Mose 49, 24. In absichtlicher Zweideutigkeit heißt es also in der israelischen Unabhängigkeitserklärung:
„Mit Zuversicht auf den Fels Israels setzen wir unsere Namen zum Zeugnis unter diese Erklärung, gegeben in der Sitzung des provisorischen Staatsrates auf dem Boden unserer Heimat in der Stadt Tel Aviv.“ Die Staatsgründung ist gerettet – und ein bis heute andauernder Konflikt hat seine erste Zuspitzung erfahren.
Droht Israel nun ein Kulturkampf zwischen Religiösen und Säkularen?
Mehr als 60 Jahre später scheinen sich die Spannungen zwischen orthodoxen und säkularen Israelis nur noch verschärft zu haben. Wenn ultraorthodoxe Juden heute eine vollständige Geschlechtertrennung nicht nur in Autobussen fordern, wenn behinderte Kinder angegriffen werden, weil sie am Sabbat ihren elektrischen Rollstuhl benutzt haben, und wenn kleine Mädchen bespuckt werden, weil sie sich angeblich unzüchtig kleiden, dann ist das einer offenen Gesellschaft unwürdig …