Israels populärer TV-Star Jair Lapid könnte aus dem Stand mehr als zehn Prozent der Sitze in der Knesset holen. Daneben gibt es einen anderen überraschenden Kandidaten.
Jair Lapid hat in seinem Leben schon auf so einigen Hochzeiten getanzt, und meistens mit Erfolg. Kein anderer Journalist in Israel kann an Lapids Bekanntheitsgrad heranreichen: Der 48-Jährige hat ein Theaterstück verfasst und zwei Kinderbücher geschrieben.
Es gibt einige gar nicht schlechte Gedichte aus jungen Jahren, vier Thriller und zwei Romane. Seit 1991 schreibt er eine beliebte wöchentliche Kolumne, erst erschien sie in der Tageszeitung „Ma’ariv“, dann beim Konkurrenzblatt „Yedioth Aharonoth“.
Er moderierte Talkshows sowohl im staatlichen als auch im Privatfernsehen, er spielte in mehreren Filmen mit, versuchte sich in Hollywood, schrieb eine Fernsehserie, trat mit mäßigem Erfolg als Boxer auf und wurde wiederholt zum attraktivsten Mann Israelis gewählt.
Und nun wechselt der Sohn des ehemaligen Justizministers Tommy Lapid und der auch in Deutschland erfolgreichen Krimi-Autorin Schulamit Lapid eben in die Politik.
Der Sohn hat den Wechsel sorgfältig geplant
Sein Vater hat es vorgemacht. Doch während Tommy Lapid seinerzeit eher aus Versehen in der Knesset landete, hat sein Sohn den Wechsel sorgfältig geplant.
Am deutlichsten zeugen davon seine Kolumnen: Handelten sie früher noch vom aussichtslosen Kampf gegen Kakerlaken, von schlecht schlafenden Kindern und ewig bellenden Nachbarshunden, hat sich der Fokus längst auf die politisch heißesten Themen des Landes verschoben, auf Siedler, Orthodoxe und die Lebensmittelpreise.
Zusammenstöße zwischen Orthodoxen und Polizisten
Auch seinen Vorgesetzten beim öffentlichen Fernsehsender Channel 2 konnte nicht verborgen bleiben, dass ihr Starjournalist sich immer mehr als Politiker gebärdete. Der musste nun in die Offensive gehen.
Nach Medienberichten soll Lapids neue Partei „Die Israelis“ heißen. Man kann sich keinen passenderen Namen vorstellen, denn ihr Gründer gilt als Personifizierung des neuen Israeli. Sein Vater, ein ungarischstämmiger Holocaust-Überlebender, hat in der Talkshow seines Sohnes einst auf die Frage, was für ihn israelisch sei, mit einem ebenso emotional aufgewühlten wie stolzen „Du!“ geantwortet.
In seiner langen journalistischen Laufbahn hat Jair Lapid nur sehr wenige Menschen wirklich verärgert. Wenn er die Siedlerbewegung vorsichtig kritisierte, dann umarmte er sie im nächsten Halbsatz als seine Brüder.
Der Vater ein hemmungsloser Polterer
Wenn er den Forderungen der Ultra-Orthodoxen entgegentrat, dann nicht, ohne seinen Respekt für die Religionsgelehrten und seine Verbundenheit mit der jüdischen Tradition auszudrücken. Sein Vater war da ganz anders: ein hemmungs- und grenzenloser Polterer, der die Provokation genoss und dem der große Knall oft wichtiger war als das Resultat.
Dennoch zeigen Umfragen, dass eine von Jair Lapid gegründete und geführte Partei bei den Parlamentswahlen bis zu 15 Mandate erringen könnte. Doch ob sich der Höhenflug bis zum Wahltermin im Oktober 2013 hält, bezweifeln viele.
Tausende demonstrieren gegen Fanatismus
Im israelischen Beit Schemesch im Distrikt Jerusalem kam es zu Zusammenstößen zwischen ultraorthodoxen Juden (Charedim) und der Polizei. Die Demonstranten forderten laut israelischen Medienberichten unter anderem eine strikte Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben.
Die Umfragen zeigen zudem, dass sich an den grundlegenden Machtverhältnissen auch durch einen Erfolg Lapids nicht viel ändern würde: Die meisten seiner Wähler kämen aus der Kadima-Partei von Tzipi Livni, die Ähnliches vertritt wie der Moderator.
Jair Lapid hat mehrmals eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert, Wehrdienst auch für Ultra-Orthodoxe, mehr Geld für Bildung und endlich eine Verfassung für Israel – bekannte Ideen, mit denen schon andere scheiterten.
Unerwarteter Zuwachs für die Arbeiterpartei
Würde Lapid antreten, dann blieben der Kadima laut Umfragen nur noch 14 von heute 28 Sitzen, der Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu käme ungeschoren davon, rechte und orthodoxe Parteien behielten eine knappe Mehrheit.
Allerdings müsste die sefardisch-orthdoxe Schas-Partei mit der Spaltung rechnen. Ihr charismatischer Ex-Vorsitzender Arie Deri plant nun nach Ende seiner Haftstrafe wegen Korruption ein Comeback. Seine neue Partei könnte Schas sieben Mandate kosten.
Während der Wechsel von Jair Lapid in die Politik vorhersehbar war, bekam die Arbeitspartei vollkommen unerwarteten Zuwachs: Noam Schalit, Vater des 2007 von der islamistischen Hamas entführen und jüngst freigekommenen Soldaten Gilad Schalit, will als Kandidat der Arbeitspartei antreten.
Bisher hatte er wie ein schüchterner Mann gewirkt, dem der Medienzirkus unangenehm war und der nach der Freilassung seines Sohnes nur in Ruhe gelassen werden wollte. Doch nun, so erklärte er überraschend, wolle er den Charakter der israelischen Gesellschaft beeinflussen.
„Die Arbeitspartei ist eine sozialdemokratische Partei, die für den Frieden ist, und deshalb ist sie meine natürliche Heimat“, sagte Schalit. Besonders für Netanjahu, der sich im Wahlkampf gewiss mit den Bildern der glücklichen Familie Schalit schmücken wollte, ist die Kandidatur des Vaters für die Konkurrenz eine unangenehme Überraschung.
Lesen Sie den Artikel von Michael Borgstede in der WELT vom 11.01.2011.