Eine Mehrheit der Deutschen teilt die Meinung von Günter Grass nicht, wonach Israel von Deutschen nicht kritisiert werden könne. Sie wenden sich ebenfalls gegen die These des Literaturnobelpreisträgers, dass die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden von Israel und nicht etwa vom Iran ausgehe.
Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die die „Welt am Sonntag“ bei Infratest/dimap in Auftrag gegeben hat. Im Interview mit der „Welt am Sonntag“ bezeichnete Israels Premier Benjamin Netanjahu die Thesen von Grass denn auch als „absurd“ und als „Verleumdung des jüdischen Staates“.
Kritik an Israel kein Tabu
Der Umfrage zufolge vertreten 75 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger die Ansicht, Israel und seine Politik könne in Deutschland prinzipiell genauso kritisiert werden wie andere Länder, diesbezüglich gäbe es keine Tabus.
Eine Haltung, die in den Reihen fast aller Wählerschaften klar überwiegt. Einzig unter Anhängern der Linkspartei findet die Tabu-These mit 46 Prozent überdurchschnittliche Unterstützung.
Im aktuellen Konflikt zwischen Israel und dem Iran geht nach Ansicht fast jedes zweiten Bundesbürgers (48 Prozent) vom Iran die größere Gefahr für den Frieden aus. Nur jeder Sechste (18 Prozent) sieht den Frieden stärker durch Israel bedroht.
Stärkeres Gefährdungspotenzial durch Iran
Nach Ansicht von 22 Prozent geht die Bedrohung gleichermaßen von beiden Ländern aus. Während unter Linken-Wählern Israel als größere Friedensbedrohung gilt (52 Prozent), sehen die Anhänger aller anderen Parteien das stärkere Gefährdungspotenzial auf Seiten des Irans.
Nach Ansicht von 58 Prozent der Befragten geht vom iranischen Atomprogramm eine starke Bedrohung für die Existenz Israels aus.
Netanjahu – Gedicht ist „absoluter Skandal“
Günter Grass hatte in seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ Israel als eigentliche Bedrohung des Weltfriedens dargestellt. Gegenüber der „Welt am Sonntag“ verwandte sich Israels Regierungschef gegen diese Behauptung, die er als „absoluten Skandal“ bezeichnete.
„Dass dies von einem deutschen Nobelpreisträger kommt und nicht etwa von einem Teenager einer Neo-Nazi-Partei macht es noch empörender“, meinte Netanjahu. Die Zeilen von Grass offenbarten einen „Zusammenbruch des moralischen Urteilsvermögens“, sagte Netanjahu.
„Er hat eine perfekte moralische Verdrehung geschaffen, in der der Aggressor zum Opfer wird und das Opfer zum Aggressor.“
Israel rief unterdessen seine Bürger auf, die ägyptische Halbinsel Sinai so schnell wie möglich zu verlassen wegen der Gefahr von Anschlägen an Stränden.
In der Welt am Sonntag vom 21.04.2012 finden Sie den Originalartikel von Clemens Wergin.