Workshop und Podiumsdiskussion der Deutsch-Israelischen Gesellschaft am 7. Juni 2016 im Auswärtigen Amt
Im Jahre 1985 wurden vom Georg-Eckert-Institut, Leibnizinstitut für internationale Schulbuchforschung, erstmals Ergebnisse einer wechselseitigen Untersuchung des Bildes Deutschlands in israelischen Schulbüchern sowie des Bildes Israels in deutschen Schulbüchern, veröffentlicht. Schon damals wurde die Einseitigkeit kritisiert, mit der Israel als Aggressor im israelisch-arabischen Konflikt dargestellt wurde.
Seitdem sind dreißig Jahre vergangen. Im August 2015 präsentierte das Institut im Auswärtigen Amt (AA) die Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung, die von 2011 bis 2014 mit Unterstützung des AA erhoben wurde. Es zeigte sich, dass das Bild Israels in den Schulbuchartikeln noch immer das des Aggressors ist. Auf der israelischen Seite hatte sich allerdings einiges gebessert. So endet die Darstellung Deutschlands in den dortigen Schulbüchern heute nicht mehr mit dem Holocaust, sondern es wird auch das Deutschland der Gegenwart in Europa behandelt. Aber man war sich einig, dass auf beiden Seiten noch immer Handlungsbedarf besteht.
Nach der Präsentation dieser Studienergebnisse seinerzeit im Auswärtigen Amt hatten das Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) und die DIG den Entschluss gefasst, initiativ etwas für eine konkrete Veränderung zu tun: angedacht war eine bundesweit angelegte Veranstaltungsreihe zur Thematik, um Fachpublikum und interessierte Öffentlichkeit zu sensibilisieren und mit Politik und Schulbuchverlagen ins Gespräch zu kommen.
Am 07. 06. war nun die Kick-off Veranstaltung, die 2016 noch in vier weiteren Bundesländern nach dem gleichen Konzept stattfinden soll. Sie wird vom AA gefördert und liegt ihm offensichtlich auch politisch am Herzen. Das zeigte sich darin, dass das AA Gastgeber der Berliner Veranstaltung war und entsprechend ging es aus dem Grußwort des Gesandten Dr. Benedikt Haller hervor.
Kooperationspartner der DIG für diese Veranstaltungsreihe sind neben dem MFFB auch die Scholars for Peace in the Middle East (SPME). Deren Vorstandsmitglieder und Experten Kirsten Tenhafen und Jörg Rensmann arbeiteten zuerst in einem der Podiumsdiskussion vorgeschalteten Workshop mit Fachleuten aus dem Bildungsbereich an einschlägigen Textbeispielen aus gängigen Schulbüchern. Die Teilnehmer selbst stellten dabei fest, dass im Falle von inhaltlich bedeutsamen Auslassungen entscheidende Kerninformationen nur unzureichend vermittelt werden. Selektiv zitierte „Quellentexte“ stellen z.B. subjektive Sichtweisen dar, wie beim Workshopbeispiel der Aussage eines gescheiterten Selbstmordattentäters, und können durch diese wichtigen Auslassungen eben gerade nicht ‚kontextualisiert’ (in einen Zusammenhang mit Politik und anderen Vorgängen der Umwelt gestellt) werden.
Im angeführten Beispiel etwa blieb unerwähnt, dass der Täter Hamas-Mitglied, und demzufolge Mitglied einer vernichtungsantisemitischen Terrororganisation war und dementsprechend aus ideologischen, judenfeindlichen Motiven heraus handelte. Seine im Schulbuch selektiv zitierte Aussage klang, aufgrund der entscheidenden fehlenden Information über seine jahrelange, gezielte Indoktrinierung seitens der Hamas, so emotional wie die eines Verzweifelten und kann bei jugendlichen Rezipienten unter Umständen zur Rationalisierung von Terror führen. Verschlimmert wurde die Darstellung dadurch, dass der Attentäter im selben Alter war wie die Schüler/innen, für die das Buch gemacht war, und der Text somit eine hohe Gefahr der Identifikation bot.
Aber auch in „Sachtexten“ wurden grobe Fehler sichtbar. Jörg Rensmann (SPME): „Wenn ich in einem Schulbuch lese, dass der UN-Teilungsplan von 1947 von beiden Seiten nicht anerkannt wurde, so ist das sachlich falsch.“
In der anschließenden Podiumsrunde ging es konkret zur Sache. Dr. Martin Kloke vom Cornelsen Verlag musste sich fragen lassen, warum es so lange dauert, bis erkannte Fehler aus den Büchern entfernt werden, wie es überhaupt zu solchen Fehlern kommen kann, wer solche Texte erstellt und wer sie kompetent vor ihrer Veröffentlichung prüft. Er räumte ein, dass Handlungsbedarf beim Verlag erkannt worden sei und man an Verbesserungen arbeite. Allerdings sei man in der inhaltlichen Darstellung durch die Anforderungen durch Curricula und Rahmenpläne bestimmt, die multiperspektivische Darstellungen forderten. Neue Bücher würden nur alle zehn Jahre im Rahmen dieser überarbeiteten Anforderungen erstellt werden. Es wurde vorgeschlagen, bis dahin Neuauflagen von bestehenden Büchern wenigstens korrigiert zu drucken.
Dr. Götz Bieber, Direktor des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, appellierte an die Verlage, das, „was in der Schulbuchforschung heraus gekommen ist, differenziert aufzuarbeiten“. Bieber wollte den Autoren der Schulbücher keinen Vorwurf machen, sie sollten stattdessen „Anleitung zur weiteren Entwicklung der Materialien“ erhalten, war sein Vorschlag.
Dr. Dirk Sadowski, wissenschaftlicher Koordinator der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission des Georg Eckert-Instituts – Leibniz-Instituts für internationale Schulbuchforschung, hat die Studie verantwortlich geleitet. Er fasste zusammen, dass sich eine starke Einseitigkeit des Bildes von Israel gezeigt habe. In den wenigsten Büchern werde dargestellt, dass das Land die einzige Demokratie im Nahen Osten sei. Auch die deutsch-israelischen Beziehungen fehlten nahezu komplett in den Büchern. Zudem hätten die Forscher eine „Engführung“ auf den israelisch-palästinensischen Konflikt festgestellt, der losgelöst von den Problemen in der arabischen Welt dargestellt werde.
Regina Ultze von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft verteidigte die in Berlin seit zehn Jahren herrschende freie Auswahl der Schulbücher durch die Schulen. Sie sehe darin eine Chance, dass das Lehrpersonal sein demokratisches Recht auf freie Materialwahl nutzen könne. Die fehlenden Empfehlungen wurden von anwesenden Lehrer/inne/n allerdings teilweise als Überforderung wahrgenommen.
Auch wurde in der Diskussion mit dem Fachpublikum deutlich, dass es als unbefriedigend empfunden wird, wenn weder der Verlagsvertreter noch die Vertreterin des Senats sich für die Qualitätskontrolle der vorhandenen Schulbücher in der Verantwortung sehen.
Entsprechenden Unmut erregte, dass offen bleibt, wer eigentlich prüft, ob die fehlerhaften bzw. einseitig Israel kritischen Aussagen in den Schulbüchern von Lehrer/inne/n wirklich richtig gestellt werden oder ob sie nicht möglicherweise bei Lehrer/inne/n und Schüler/inne/n sogar auf Sympathie stoßen. Denn die Artikel bedienen sich häufig aus Medienberichten, die wiederum tendenziös sind. Damit vermitteln schlussendlich Schulbuchartikel in Teilen kein ausreichendes Faktenwissen, um die komplexen Vorgänge im Israel-Palästina Konflikt ausgewogen beurteilen und den Staat Israel als funktionierende Demokratie sehen zu können.
Die Abschlussworte der Podiumsteilnehmer vermittelten allerdings Zuversicht: Alle Verantwortlichen stimmten überein in der Perspektive, die erkannten Probleme gemeinsam lösen zu wollen. Wir werden diese Entwicklung verfolgen und darüber berichten.
Bericht: Maya Zehden (Vorstand DIG Berlin und Potsdam)
Hier die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion: