Grußwort zur Gedenkveranstaltung von „Wir waren Nachbarn“,
Apostel-Paulus-Kirche, Berlin-Schöneberg, 27. Januar 2019
Verehrtes Organisationsteam und die Unterstützerinnen dieser Veranstaltung, sehr verehrte Damen und Herren,
schön, dass Sie so zahlreich zu diesem Gedenktag erschienen sind. Ein Gedenktag daran, welche Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland begangen wurden. Deren Ausgrenzung und Menschenverachtung hat viele Minderheiten getroffen. Über alle kann ich nicht sprechen, obwohl ihr Leid genauso furchtbar war wie das der Juden. Aber ich stehe hier als Jüdin und Tochter einer Überlebenden der Menschengruppe, die völlig vernichtet werden sollte. Und über sie spreche ich.
Es ist nicht gelungen, die Juden auszurotten. Viele leben wieder in Deutschland, geschätzt 200.000 von den weltweit etwa 15 Millionen Juden. Davon leben 6 Millionen in den USA. Rund 6,5 Millionen von 8,8 Millionen Einwohnern in Israel sind Juden. 1,5 Millionen Israelis sind arabischer Herkunft, überwiegend muslimisch, aber auch christlich und drusisch. Und nur am Rande: Im gesamten Nahen Osten ist Israel der einzige Staat, in dem die christliche Bevölkerung wächst.
Die Juden haben es also geschafft, sich einen eigenen Staat aufzubauen. Dass sie das geschafft haben, war nicht nur wegen der Shoa. Die Shoa war zweifellos das größte Pogrom an den Juden, aber längst nicht das einzige. Seit die Juden Jesus nicht als ihren Messias anerkannt haben, waren sie den Anfeindungen christlicher Kirchenführer ausgesetzt. Sie wurden verfemt, waren vogelfrei, wurden überall in Europa verfolgt und als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Ich rufe das deshalb ins Gedächtnis, um aufzuzeigen: Antisemitismus begann als religiöses Phänomen. Im 19. Jahrhundert hat es sich in ein rassistisches Phänomen gewandelt. Denn auch die getauften Juden waren
nicht wirklich gesellschaftlich anerkannt. Man misstraute dann der ‚jüdischen Rasse‘ und das hatte Auswirkungen. Sie wurden nun nicht mehr nur gehasst, weil sie Jesus nicht anerkannten, sondern auch, weil sie es schafften, als sie Bürgerrechte hatten, als Ärzte, Händler, Künstler, in der Politik und im Rechtssystem gute Positionen zu erreichen. Und sie wurden gehasst, weil sie zusammenhielten, aber ständig stritten, weil sie klug waren, aber andere Gebräuche pflegten, weil sie krumme Nasen hatten, aber die Männer hinter nichtjüdischen Frauen her waren und die jüdischen Frauen schöner als die nichtjüdischen Frauen waren, und so weiter. Viele dieser Vorurteile kennen Sie doch sicher noch.
Und jetzt? Nach der Shoa? Wenn Sie das Wort Jude aussprechen sollen, haben Sie da vielleicht Angst, etwas falsch zu machen? Es hat doch immer noch den Klang eines Schimpfwortes, nicht wahr? Wird ja auch auf Schulhöfen so benutzt. Und sind Sie nicht manchmal erstaunt, dass viele Juden gar nicht so religiös sind, wie Sie dachten? Dass sie sich eben auch als Schicksalsgemeinschaft oder als Volk definieren? Ihr Unbehagen kann daher rühren, dass sich inzwischen der religiöse und der rassistische Antisemitismus in etwas verwandelt haben, das losgelöst von Religion und Rassismus in der europäischen Kultur existiert. In den Ländern, in denen sie leben, sind Juden ja kaum noch zu erkennen. Sie sind integrierte Bürger, die leben wie alle anderen auch. Mit etwas anderen Traditionen vielleicht.
Aber Befragungen zeigen, dass die Mehrheitsgesellschaft diese Gruppe immer noch zu einem hohen Prozentsatz mit Misstrauen bis Abneigung und neuerdings auch zusätzlich mit aus dem Nahen Osten importierten Hass betrachtet. Da man gegen Juden nach der Shoa nicht mehr direkt diese Abneigung äußern kann, wird sublimiert: Mit Antipathie auf die Juden, die in Israel leben. Die können wirklich nichts richtig machen, oder?
In dem Gebiet, das bis zur Staatsgründung Israels Palästina hieß, lebten schon immer Juden. Lange vor 1948 hatten sie begonnen, dieses Land aufzubauen. Dabei wurden sie von Juden aus aller Welt, besonders aus den USA, aber auch von der Familie Rothschild aus England und Frankreich finanziell unterstützt. Davon haben immer die Araber im Land mit profitiert.
Abgesehen davon, dass die Überlebenden der Shoa keine Heimat mehr hatten und keinen anderen Ort, der sie aufnehmen wollte, zogen sie auch nach Palästina, weil dort ihr religiöser Mittelpunkt ist. Die Stadt Jerusalem ist mehrmals in der Thora erwähnt als Ort der Juden, dort stand ihr Tempel. Zusammen mit dem Berg Zion ist das die Heimstätte des jüdischen Volkes. Ein Zionist steht also nicht in Abgrenzung zu anderen, sondern als Jude geht es ihm um dieses kleine Stück Land der Welt, wohin er seinem Glauben und dem seines Volkes nach, hingehört. Wer also meint, er mag Juden und Israel, aber keine Zionisten, der sollte erklären können, wie er das eine vom anderen trennen will.
Und wenn es um modernen Antisemitismus geht, kann man beobachten, wie Politiker der etablierten politischen Parteien gegen Rechts und den dort offen gepflegten Fremdenhass wettern. Sie sind aber häufig nicht in der Lage, die sogar im Duden etablierte „Israelkritik“ in ihrer unvergleichlichen Intensität und dabei oft Irrationalität in ihren eigenen Reihen wahrzunehmen.
Am besten gefällt es mir, wenn jemand mich fragt, warum man Israel nicht kritisieren dürfe, ohne gleich als Antisemit zu gelten. Ein Tipp: Wenn Sie die Politik des Ministerpräsidenten oder Vorgänge im Land kritisieren, die Sie überall kritisieren würden, wie Gesetzgebung, zu teure Preise für Lebensmittel, Frauenrechte, sind Sie sicher kein Antisemit. Wenn Sie Propagandabegriffe benutzen wie Apartheidstaat oder finden, dass Israelis die Araber behandelt würden wie damals die Juden von den Nazis oder die Palästinensischen Gebiete Sie an Konzentrationslager erinnern, oder wenn Sie finden, dass der Boykott Israels richtig ist, dann könnten Sie einer sein.
Warum? Apartheidstaat ist zum Beispiel ein völlig unzutreffender Ausdruck in jeder Hinsicht. Jeder, der wie ich erlebt hat, wie Hunderte von arabischen Israelis zum Schlussfest zu Ramadan nach Netanya ans Meer fahren und den Strand ganz selbstverständlich neben Touristen und anderen Einheimischen bevölkern, und der den Vergleich hat, wie es in Südafrika zur Zeit der Apartheid zuging, weiß was ich meine.
Abgesehen davon ist ein Vergleich der zweifellos unter Entbehrungen leidenden Palästinenser, wenn sie denn tatsächlich in den sogenannten Flüchtlingslagern leben, trotzdem ein unglaublich perfider Vergleich mit Insassen von KZ’s. Das muss ich hoffentlich nicht weiter ausführen.
Nicht die Israelis haben diese Lager errichtet und halten sie aufrecht. Sie haben die aus den arabischen Ländern ausgewiesenen, vertriebenen und enteigneten 750.000 Juden in Israel nicht nur aufgenommen, sondern sofort integriert. Von den aus dem israelischen Staatsgebiet geflohenen rund 650.000 Arabern leben heute noch etwa 25.000. Die Zahl von aktuell 5 Millionen palästinensischen Flüchtlingen weltweit ist eine Folge der Politik der Weltgemeinschaft, die nur diesen Flüchtlingen einen Erbstatus als Flüchtlinge verleiht.
Die Palästinensische Autonomiebehörde und Gaza erhielten seit Mitte 90er Jahre für 4 Millionen Einwohner Hilfsgelder in Höhe von insgesamt 31,3 Milliarden US Dollar. Damit gehören das Westjordanland und Gaza zu
den Gebieten mit den weltweit höchsten Pro-Kopf-Finanzhilfen (Anhang).
Es sollte sich jeder, der Israel kritisiert, fragen, warum die Führung der Palästinenser das Geld, das sie für ihre Bevölkerung erhält, nicht dazu nutzt, um ihre Menschen zu versorgen, warum es unendlichen Reichtum neben unendlicher Armut gibt, warum mehr Waffen und Materialien für Tunnelbau angeschafft werden als Nahrungsmittel? Wie kann es den Geldgebern in aller Welt egal sein, wie sehr in diesen Gebieten der Hass auf den jüdischen Nachbarn immer stärker gepflegt wird? In den Moscheen, in den Reden aller Politiker, in Kindersendungen und von Deutschland geförderten Schulbüchern und auf Plakaten, die die Häuser schmücken? Wie kann ignoriert werden, dass Sportstätten und Schulen nach Terroristen benannt werden und die Mörder, sogenannte Märtyrer, sowie ihre Familien mehr Geld bekommen als jeder, der mit anständiger Arbeit sein Auskommen sucht? Wir alle fördern diese Auswüchse mit unseren Steuergeldern.
Wenn man also in diesem Konflikt nur einen Schuldigen sieht, ihm seine Stärke vorwirft, die er braucht, um gegen Terror und die massive Übermacht an Menschen in den Nachbarstaaten zu bestehen anstatt einzubeziehen, dass die vermeintlichen Opfer auf der anderen Seite von ihrer Führung als Propagandamittel gegen den zionistischen Feind missbraucht werden, der sollte sich fragen, ob er vielleicht ein Antisemit ist. Und wer meint, mit dem Boykott israelischer Sportler, israelischen Wissenschaftler, israelischer Künstler oder von Künstlern, die in Israel auftreten wollen den Palästinensern und dem Frieden im Nahen Osten zu nützen, ist irrational und antisemitisch.
Wenn wir heute des 27. Januar gedenken, der Befreiung von Auschwitz und Birkenau, dann stelle ich leider fest, dass das nicht genügt. Wir dürfen nicht im Gedenken verharren. Es gilt die Erkenntnis, dass Hass und Terror niemals gerechtfertigt werden können. Und wenn Juden heute wieder davon bedroht werden, in Deutschland und wo immer sie leben, auch in Israel, muss das zutiefst verstören und Ihren Widerstand, den Widerstand der Anständigen, hervorrufen. Vielen Dank.
M. Z.