Eine Veranstaltung der DIG Berlin und Brandenburg. Vortrag und Diskussion mit Viktoria Kanar, Tel Aviv, am 24. Oktober 2023 in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg beim Bund, Tiergartenstraße 15, 10785 Berlin
„Etwas tun, das größer ist als der Schrecken…“
„Ich war überrascht, wollte es nicht glauben, verstand erstmal nichts. Geiseln? Tote? Falscher Film? Darf ich raus?“ So beschreibt die Referentin des Abends, die israelische Modeproduzentin, Kommunikationswissenschaftlerin und politische Aktivistin Vika Kanar, ihren Schock am Abend des 7. Oktober. Doch heute fragt sie: „Was machen wir nun? Was kann ich selbst tun? Etwas, das größer ist als der Schrecken?!“ Darüber diskutierten Vika Kanar, der Moderator Jochen Feilcke und die engagierten Zuhörer des Abends.
Die in der Sowjetunion geborene Vika Kanar kam in den 90er Jahren als Kind mit ihren Eltern nach Berlin. Sie habe in der Schule viel über den Holocaust gelernt, erzählt sie, „aber nichts über die heutigen Juden“. Nach Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000 engagiert sich Vika in der Berliner Jüdischen Gemeinde, sucht auch den Dialog mit Muslimen. Im Jahr 2004 wandert sie nach Israel aus, wird dort Vorsitzende des Weltverbandes Jüdischer Studenten. „Ich habe alle großen Persönlichkeiten dieser Welt getroffen.“ Für Journalisten in Israel organisiert sie Rundflüge. „Man muss den Medien zeigen, wie klein, wie angreifbar Israel ist.“ Sie gründet eine PR-Agentur, veranstaltet internationale Modewochen in Tel Aviv und ist an der Entwicklung alternativer Technologien beteiligt, mit denen sich Textilabfälle in neue Rohstoffe umwandeln lassen.
Ihr Ziel heute? „Ich möchte die Geschichte Israels erzählen. Aufmerksamkeit schaffen. Gespräche trainieren. Wir können nicht weitermachen wie vor dem 7. Oktober.“ Vika Kanar sammelt Spenden für Hilfsprojekte an der militärischen Front, ist in Kontakt mit Familien der Geiseln, organisiert Treffen und Diskussionen, macht Pressearbeit. „Es gibt keine ‚zwei Seiten‘ mehr.“ Denn die zweite Seite wolle vor allem das Leben und die Freiheit zerstören. In Israel und anderswo. „Heute sind wir dran – und morgen alle anderen. Ich habe noch nie so viel Angst gespürt.“ Was daraus folgt? „Wir müssen etwas bewegen, und sei es auch nur auf kleinster Ebene.“
Das Publikum im Saal ist fast einhellig derselben Meinung. Was kann ich tun? Um diese Frage dreht sich die Debatte fast eine Stunde. Vorschläge werden gemacht: in karitativen Verbänden vor Ort arbeiten – eine Anlaufstelle oder Task Force gründen, um die Presse zu reeller Berichterstattung zu motivieren – Helfer für Landwirtschaft und Infrastruktur entsenden – dabei mit der israelischen Botschaft zusammenarbeiten. Ein Mitglied der Kurdischen Gemeinde moniert: In Gaza werden die Frauen unterdrückt, dafür gebe es keine Befreiungsorganisation. Vika Kanar stimmt zu: „Es wird zu viel über Israel gesprochen, aber man sollte mehr über die arabische Welt sprechen.“
Moderator Jochen Feilcke weist auf Informationsdefizite an Schulen hin. „Wir müssen Personen suchen, die Wissen vermitteln können und Hilfsangebote machen.“ Er fragt: „Wer wäre bereit?“ Mehrere Zuhörer und Diskutanten melden sich spontan. Ein Lehrer an einer Schule am Ernst-Reuter-Platz berichtet: In der 10. Klasse herrsche beim Thema Gaza-Krieg noch Betroffenheit, in der 12. Klasse werde dann eher ein Ausgleich gefordert. Woran das liegt? Schwierig. Und dann doch wieder Einigkeit im Publikum und auf dem Podium: „Wir wissen nicht, ob Israel überleben wird“, sagt ein Zuhörer. Und ein anderer: „Die Frage ist – was können wir hier bei uns für Israel tun?“ Sicher nicht genug. Da waren sich die Redner einig. Aber dennoch: „Beziehen wir Stellung, seien wir dabei persönlich – handeln wir so, dass wir erkennbar und authentisch bleiben.“
Text: Gudrun Küsel
Fotos: Inge Kundel-Saro