„Was uns nie ausgehen darf, ist der Humor“
Lesung und Diskussion zum Sammelband „Schabbat im Herzen“
Die beiden Herausgeberinnen des Buches „Schabatt im Herzen. Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Lichtig Verlag 2023: Alexandra Jacobson (links) und Nea Weissberg. (Foto: Kundel-Saro)
Auf einem „Times Square Plakat“ der letzten Wochen steht: Auch Babys können später Mörder werden. Gemeint sind jüdische Babys. Diskussionsleiterin Maya Zehden hält es hoch. So weit sind wir schon wieder? Hilft nur noch Auswandern? Nein! Die 19 jüdischen Autoren und Autorinnen des Sammelbandes „Schabbat im Herzen. Sehnsucht nach Zugehörigkeit“ beschreiben ihre persönliche Suche nach Wegen, um genau hier und jetzt, mitten in Deutschland zu leben. Ihre Suche nach Sinn und Glück nach der Shoah. Und trotz des 7. Oktober. Denn: Israel – so betont Maya Zehdengleich zu Beginn des Gesprächs – war für viele Juden, und ist es bis heute, eher ein Ort zum Ankommen. Daher musste man ihn verteidigen. Aber das Bild von Israel sei immer auch etwas „schräg“ gewesen. „Die jeweils Regierenden mochte oftkeiner.“
Im Vorwort des Buches fragen die beiden Herausgeberinnen Nea Weissberg und Alexandra Jacobsohn: Wie sehr berühren Shoah, judenfeindliche Hass- und Gewalterfahrungen die jüdische Gegenwart? Wie leben Jüdinnen und Juden mit Partnern zusammen, die nicht ihre Religion teilen? Was macht es mit einem Menschen, wenn ihre Eltern nie über ihre jüdische Vergangenheit geredet habe? Neunzehn Personen geben in dem Buch „Shabbat im Herzen“ sehr unterschiedliche Anworten. Und sechs der Autoren und Autorinnen diskutierten Mitte März beim Leseabend mit den Zuhörern über ihre Motivationen, Lebensgeschichten und Erwartungen. Alle Texte wurden vor dem 7. Oktober verfasst. Sie persönlich, sagt Nea Weissberg, erinnere dieses Datum an das Warschauer Ghetto. Das Wissen über das Grauen der Vergangenheit erzeuge aber keine besseren Menschen. Das Fazit der Publizistin: Die jüdische Erinnerung habe über die Zeit hinweg viele Gemeinsamkeiten. Die Texte des Sammelbandes wirken daher auch ganz neu und aktuell.
Die Journalistin und gebürtige New Yorkerin Toby Axelrod, die seit 1997 in Deutschland lebt, beschreibt ihr Aufwachsen zwischen Orthodoxen und Nicht-Orthodoxen, in der Mitte zwischen Tradition und Moderne. Den Antisemitismus wolle sie „im Herzen nicht übertreiben“, aber nach dem 7. Oktober werde das immer schwieriger. So rede in ihrem Wohnhaus seitdem kaum noch jemand über Politik. Gabriel Berger, Physiker, Journalist und Buchautor, wuchs in Polen und der DDR auf. „Gebt eure jüdische Identität nicht preis“, hatte der Vater den Kindern eingeschärft. Erst später in Köln, lernte er jüdische Traditionen kennen. „Ich wollte Kultur-Jude sein.“ Und: „Die Frage, ob ich Jude bin, stellt sich für mich nur in Deutschland.“ Salean A. Maiwald, Malerin und Autorin, warnach dem Abitur nach Israel gereist, führte dort über 50 Gespräche mit Shoah-Überlebenden, trat 2001 zum Judentum über. „Der Übertritt war der glücklichste Moment meines Lebens.“ An der Bushaltstelle Olivaer Platz fragt sie vor Glück laut nach dem Weg zur Synagoge, ruft den Leuten „Schabbat Shalom“ zu. Aber heute: Ihre Schwester möchte sich im Bus nicht laut über Jüdisches unterhalten. Alexandra Jacobson, geboren in Costa Rica, aufgewachsen in Hannover, erzählt von den Briefen ihrer Großmutter, die im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Sie liebt diese Briefe und liest sie immer wieder. „Doch der Schmerz wird nie aufhören.“ Aber auch ihre Suche nach Zugehörigkeit sei noch nicht zu Ende. Nach einer wirklich liberalen Gemeinde im Sinne des Reformjudentums. „In Berlin lebe ich seit 2003 und bin noch auf der Suche nach der für mich stimmigen Synagoge.“
Hat der 7. Oktober eine neue Identitätsfindung von deutschen Juden eingeleitet? Das will eine Zuhörerin im Publikum wissen. Jetzt fühle sie sich „jüdischer als vorher“, antwortet Alexandra Jacobson. Sie sei „geschockt“ gewesen, aber ihre deutschen Freunde eher nicht. „Ducken kommt nicht in Frage“, sagt Nea Weissberg. „Ich muss entscheiden: Gehe ich in die Offensive oder nicht.“ Die Lesung sei der erste Abend, wo sie „in die Öffentlichkeit zurückkehre.“ Juden würden zu wenig Propaganda machen, die Araber könnten das viel besser. Die Daten und Zahlen kämen zu oft von palästinensischer Seite, und Israel könne die Lücke nicht füllen. Man müsse mehr machen … aber wie? Niemand weiß hier wirklich einen guten Rat. Nein! Doch! Einen Rat gibt es – Diskussionsleiterin Maya Zehden weiß ihn: „Was uns nie ausgehen darf, ist der Humor. Wenn Sie einen humorlosen Juden treffen, müssen Sie fragen, ob das einer ist.“
Gudrun Küsel
Am 13. März 2024 diskutierten Maya Zehden, Dr. Salean Maiwald, Alexandra Jocobson, Toby Axelrod, Gabriel Berger und Nea Weissberg (von links) im Jüdischen Gemeindehaus. (Foto: Kundel-Saro)