Ein Podiumsgespräch im Nachprogramm der Woche der Brüderlichkeit begann mit einem literarischen Zitat. Soma Morgenstern ließ in seinem Romanbericht in „Flucht in Frankreich“ einen der jüdischen Flüchtlinge vor Nazideutschland sagen: „Der letzte Trick wird das Spiel mit der Menschlichkeit sein. Der Mörder wird das Messer im Stiefelschaft verstecken, er wird sich die blutige Hand waschen und sie der ganzen Welt brüderlich entgegenhalten. … Und es ist durchaus wahrscheinlich, daß die Welt auch auf diesen Trick hereinfallen wird. Hitler versöhnt sich nun sogar mit den Juden, er wird noch die Zehn Gebote Mosis in sein Programm der NSDAP aufnehmen, wird die Welt sagen. Denn die Welt sucht ja nur nach einem Vorwand, mit Hitler Frieden zu machen.“
Angst vor solchen Spielen mit der Rede von Versöhnung wird man immer da haben, wo jemand zwar die Versöhnung im Munde führt, aber einen Respekt für die Rechte des anderen doch nicht aufbringen möchte – oder gar nicht kann.
Mit diesem Zitat eröffnete die Moderatorin am 26. März 2009 in der Akademie der KAS eine Podiumsdiskussion zum Thema „Diesseits der faulen Versöhnung – Versöhnungskitsch und ordentlicher Streit zwischen Judentum, Christentum und Islam.“ Die Veranstaltung war gemeinsam von KAS, DIG Arbeitsgemeinschaft Berlin und Potsdam und der GCJZ organisiert worden. Dr. Edna Brocke (Alte Synagoge Essen), Dr. Ellen Überschär (Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages) und Dr. Hasan Karaca (Forschungszentrum für Religion) diskutierten unter Leitung von Dr. Gesine Palmer über die Frage, wo das berechtigte Streben nach Dialog und Versöhnung umschlägt in eine Überforderung, ja ein tendenziell gewaltsames Ansinnen.
Ellen Überschär und Hasan Karaca präsentierten ihre Standpunkte auch nach manch provokativer Frage auf bemerkenswert sanftmütige Weise: Weder für das Christentum noch für den Islam wurden die missionarischen und damit in der Tendenz auch übergriffig auslegbaren Inhalte verleugnet. Es ist aber eine Frage der Auslegung, ob man sie aggressiv wendet oder als besonders belastende Teile der eigenen Tradition ablegt und sich eher den dialog- und versöhnungsbetonten Teilen verpflichtet fühlt.
In der Debatte – nach einer knappen Stunde auch unter Einbeziehung des Publikums – zeigte sich schnell, dass die von Edna Brocke munter, selbstbewusst und klar vorgetragene jüdische Position des Nichtmissionierens trotz der Klarheit der Argumentation nicht immer leicht verständlich gemacht werden kann. Juden, so Brocke, tun sich aufgrund der nicht nur „religiösen“ Struktur des Judentums leicht mit der Idee, dass für andere Menschen eine andere Wahrheit gelten könnte als für sie. Angehörigen der anderen beiden Religionen fällt das schwerer, wo sie mit deutlichen Abgrenzungen der anderen konfrontiert werden.
Kitschig ist wohl jede Versöhnung, die vom anderen die Aufgabe der elementarsten Selbsterhaltung und die Verleugnung aller Differenzen und Verletzungen erwartet. Versöhnungskitsch arbeitet Gewalterfahrung nicht auf, sondern fordert eine Verleugnung; er erträgt keinen bleibenden Abstand und respektiert das Recht auf Eigensinn vor allem beim Schwächeren nicht. Jede Rede von Versöhnung, die Macht- und Bedrohungsverhältnisse ignoriert, hat eine Tendenz zum Kitschigen. Auf dem Podium wurde debattiert, inwiefern das mit den Lehrweisen der einzelnen Religionen zusammenhängt. Die aus Lessings Nathan herbeizitierte Ringparabel mit ihrem Aufruf zu Sanftmut und herzlicher Verträglichkeit wurde hier aber von allen Beteiligten nicht nur zustimmend zitiert, sondern auch im Diskussionsstil ziemlich vorbildlich eingehalten. Über die Fragen von nicht kitschiger Versöhnung in gegenseitigem Respekt zwischen den großen Religionen scheint der Gesprächsbedarf aber eher noch zu wachsen.
Bericht von Dr. Gesine Palmer
erschienen im DIG-Magazin 2/2009