Am 1. März 2012 hatten JVHS Berlin und DIG Berlin und Potsdam gemeinsam zu einem Abend mit Deborah Hartmann, pädagogische Mitarbeiterin der International School for Holocaust Studies der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, über die israelische Gedenkkultur eingeladen. Frau Hartmann ist seit 2007 für die Gedenkstätte in Jerusalem tätig und hat sich dort viele Jahre auch mit der Erarbeitung von Unterrichtsmaterialien für israelische Schulen befaßt. Seit September 2011 ist sie in Berlin und für alle deutschsprachigen Länder zuständig.
Tatsächlich spielt die Erinnerung an die Shoah in der israelischen Gesellschaft, an die Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus, noch immer eine bedeutende Rolle, so Hartmann. Jährlich erinnert ein Gedenktag, der Yom Ha-Shoah, an die traumatischen Ereignisse der Vergangenheit. Verschiedene Gedenkstätten wie das Ghetto Fighters House im Norden Israels, Yad Mordechai nahe Ashkelon und die nationale Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem halten dabei die Erinnerung wach und versuchen die Geschichte und die Lehren aus der Shoah auch den nachfolgenden Generationen zu vermitteln. Hartmann beschreibt Yad Vashem als „Spiegel und Reflexionsfläche der vielschichtigen Ebenen des Erinnerns in Israel“.
Folgt man Frau Hartmann, war diese Erinnerung in den Jahrzehnten nach der Staatsgründung zahlreichen Veränderungen unterworfen, so nach dem Eichmann-Prozess 1961, als erstmals die Stimmen der Überlebenden im Fernsehen zu sehen waren und sich die Erinnerung individualisierte, im Sechs-Tage-Krieg, als man durch die Bedrohung von Nassers Ägypten einen zweiten Holocaust befürchtete oder nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973, als Israel das erste Mal erkennen mußte, dass es trotz starker Armee verwundbar ist.
Nachdem es 1977 zu einem politischen Wechsel von der Arbeitspartei zum konservativen Likud mit Menachem Begin – ein Überlebender der Shoah – an die Spitze kam, wurde die Shoah erstmals „verpflichtendes Thema“ im Schulunterricht, die Opfer konnten sich zu ihrem Diaspora-Erbe bekennen, manche erzählten von ihren Erfahrungen und suchten das Gespräch zu jungen Leuten. Gleichzeitig führten die Folgen des Sechs-Tage-Krieges, die Terroranschläge und die 1. und 2. intifada aber auch dazu, dass sich die Gesellschaft selbstkritisch mit der israelischen Besatzungspolitik auseinandersetzte, was bis heute gilt.
Der ausgezeichnet vorbereiteten Referentin gelang es, bei ihrem „Parcours“ durch die Gedenkkultur Israels die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft über weit mehr als eine Stunde aufrecht zu erhalten. Sie gab uns dabei auch einen Einblick in das Gelände um Yad Vashem, wo sich inzwischen viele neue Formen des Erinnerns finden. Ein erneuter Besuch lohnt sich also.
Spannend die Information, dass Yad Vashem bereits Ende der vierziger Jahre geplant und gleich zu Anfang das Bedürfnis da war, mit der „Allee der Gerechten“ und Baumpflanzungen an die nichtjüdischen deutschen Helferinnen und Helfer zu erinnern. Wichtig auch der deutliche Hinweis darauf, dass hier nicht nur der ermordeten Opfer in den KZs und Vernichtungslagern, sondern auch der Ghetto-Kämpfer in Warschau gedacht wird, die gegen die Bedrohung durch die Nazis aufstanden und sich nicht „wie Schafe zur Schlachtbank“ führen lassen wollten. Zeichen dafür ist auch das riesige Relief vor der Gedenkhalle von Nathan Rappaportm, wo auch Vereidigungen israelischer Soldaten stattfinden. Dies macht deutlich, wie schwer es die Überlebenden auch in Israel in den ersten Jahren hatten, zu begründen, warum sie nicht früher ins damalige Palästina gekommen waren.