Kommentierung und Fotos von Meggie Jahn
Anlässlich des 64. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar wurde zwei Tage zuvor im Rathaus Schöneberg bereits zum fünften Mal die Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ eröffnet. Auch diesmal handelte es sich um eine Kooperationsveranstaltung des Bezirksamts Schöneberg-Tempelhof mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Potsdam und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Berlin (GCJZ).
Bezirksstadtrat Dieter Hapel, zugleich stellv. Bezirksbürgermeister für Tempelhof-Schöneberg, die Botschafterin von Schweden, I.E. Frau Ruth Jakoby, mit deren Hilfe die Biografie ihres aus Berlin stammenden Vaters Dr. Hellmut Jakoby erarbeitet werden konnte, Jochen Feilcke, Vorsitzender der DIG Berlin und Potsdam, und Jael Botsch-Fitterling, jüdische Vorsitzende der GCJZ, sprachen Grußworte zu den rund 350 Gästen.
Im Anschluss daran lauschte das Publikum gebannt zwei beeindruckenden Klavierstücken des anwesenden Zeitzeugen Ilja Bergh, der 1934 mit seinen Eltern nach Dänemark geflohen war und heute als Komponist und Pianist in Kopenhagen, München und Berlin lebt.
Eröffnet wurde die Ausstellung von der Initiatorin und Projektleiterin, Frau Katharina Kaiser.
Lesen Sie im folgenden die Rede von Jochen Feilcke:
„Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir sind die Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Potsdam und damit Freunde Israels ohne Wenn und Aber. Dabei sind wir keineswegs unkritisch gegenüber der jeweils aktuellen Politik und auch keineswegs automatisch die Feinde aller Feinde Israels. Als Freunde Israels stellen wir jedoch niemals die Existenz der einzigen Demokratie im Nahen Osten in Frage und versuchen Fakten und vielfältige Informationen über dieses Land zu vermitteln.
Der millionenfache Mord an Juden und der Antisemitismus in seinen vielfältigen Verkleidungen sind zentrale Themen auch in unserer Arbeit. Wir müssen leider feststellen, daß sehr viele Deutsche beim Thema „Jude“ unsicher, unwissend, aggressiv, feindlich reagieren. Unkenntnis kann man durch Informationen überwinden sofern Offenheit und Neugier vorhanden sind. Aggressivität und Feindschaft kann nur mit Klarheit und Wahrheit und bisweilen mit Distanzierung und Ausgrenzung beantwortet werden. Es handelt sich hier nämlich nicht um „Vor“-Urteile, also ein Urteil vor der Beurteilungsfähigkeit, sondern um Urteil und Verurteilung (ohne Beurteilung der Sachverhalte). Der Antisemit verurteilt nicht Fehlverhalten einzelner Juden, sondern verurteilt Juden, weil sie Juden sind.
Seit 1945 steht jeder, der sich in Deutschland mit dem »deutschen Volk« oder der »deutschen Nation« identifizieren will, vor dem Problem, dass von diesem Land das Menschheitsverbrechen der Vernichtung der europäischen Juden begangen wurde. Treitschkes Schlachtruf »Die Juden sind unser Unglück« hat daher nach 1945 eine völlig neue Brisanz bekommen. Alles Jüdische erinnert unausweichlich an die »deutsche Tat« Auschwitz und steht damit der ersehnten »nationalen Identität« im Weg. Das wiederum ruft erneute Aggressionen gegen die Juden hervor, insbesondere dann, wenn Juden gar noch explizit die Erinnerung an Auschwitz einfordern. Es erscheint paradox, aber die vollzogene Vernichtung der Juden wird in Deutschland zu einer neuen Quelle einer neuen Form von Antisemitismus.
Ein am Bodensee lebender angesehener deutscher Dichter fühlt sich ständig verfolgt und von der »Auschwitzkeule« bedroht. Ein Zyniker hat diese ideologische Disposition polemisch sarkastisch auf den Punkt gebracht: »Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen«.
Juden provozieren nach Meinung vieler Deutscher den Antisemitismus weil sie nicht schweigen. Bei meinem ersten Besuch in Yad Vashem stellte der Leiter, selbst Auschwitz-Überlebender, der unsere Gruppe begleitete, unsere Erschütterung und Hilflosigkeit fest und entschuldigte sich bei uns dafür, daß er uns mit unserer Geschichte konfrontierte.
Wer den „Zionismus“ angreift, aber beileibe nichts gegen „die Juden“ sagen möchte, macht sich und anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn zerstören möchte, erklärtermaßen oder durch eine Politik, die nichts anderes bewirken kann als solche Vernichtung, betreibt den Judenhaß von einst und von jeher.
Israel ist ein jüdischer Staat, aber nicht alle Juden sind Israeli (wie auch nicht alle Katholiken die vatikanische Staatsbürgerschaft haben). Juden werden in Deutschland permanent ausgebürgert und als Israeli angesehen – Vorwurf der „Doppelten Loyalität“ (In “Hart aber Fair“ wurde Michel Friedmann für das militärische Vorgehen der Israeli in die Pflicht genommen! ).
Manche meinen, wir leben im Informationszeitalter. Ich behaupte, wir leben im Zeitalter totaler Desinformation (Verblödung). Wer von uns kann mit der Vielzahl der auf uns einstürmenden Informationen und Bilder wirklich etwas anfangen? Wer sagt mir, welches Bild, welche Information, welche Zahl authentisch ist? Ist das gezeigte Opfer von einer israelischen Rakete getroffen oder im palästinensischen Bruderkampf ermordet worden?
Einige Medien, manche Politiker und sogar Geistliche stilisierten Israel zum kollektiven Juden. Bösartige „Hamasversteher“ treten im Fernsehen als „Nahostexperten“ getarnt auf. Sie vergleichen den um sein Überleben kämpfenden Staat Israel mit dem verbrecherischen Naziregime und die Palästinensergebiete mit Ghettos. Eine völlige Verdrehung der Sachverhalte! Denn:
Hamas tötet vorsätzlich Zivilisten, sie verherrlicht Kindesmord, stiftet Kinder und Jugendliche an, als Dschihadisten und Selbstmörder andere in den Tod zu reißen, sie mißbraucht Frauen und Kinder als „menschliche Schutzschilde“. Das ist der menschenverachtende Ungeist, der auch die NS Verbrechen ermöglichte!
Hamas bekennt sich zur Ausrottung ideologischer, religiöser Gegner: Juden, Christen, Muslime und ermordet sie gezielt und vorsätzlich. Israelische Soldaten töten vorsätzlich Terroristen.
Nimmt man Hamas die Waffen ab, gibt es keinen Krieg mehr, nimmt man Israel die Waffen ab, gibt es keinen jüdischen Staat mehr.
Ich plädiere also dafür, Urteile auf der Grundlage von Fakten zu treffen, Antisemitismus und Judenhass zu bekämpfen wo immer wir ihn treffen. Ich plädiere dafür, uns alle, alt und vor allem jung, immer wieder mit unserer Geschichte zu konfrontieren und diese Ausstellung nicht nur 3 Monate, sondern 12 Monate im Jahr den Besuchern dieses Rathauses zugänglich zu machen.
Vielen Dank.