Artikel von Margreet und Stefan Krikowski.
Manchmal hat man das Glück, einem Menschen zu begegnen, der einen so tief beeindruckt hat, dass man den unmittelbaren Wunsch verspürt, dieses Glück teilen und anderen von dieser Person erzählen zu wollen. Orna Schimoni ist eine solche Person. Sieht man ihre schlanke Gestalt mit langen, blonden, lockigen Haaren von hinten, könnte man meinen, es mit einer 30- bis 40-jährigen Frau zu tun zu haben. Erst ihr Gesicht verrät, was das Leben ihr abverlangt hat. Orna Schimoni lebt seit ihrer Hochzeit im Jahre 1960 im Kibbutz Aschdot Ja’akov, der am südlichen Ende des Sees Genezareth in der Jordansenke liegt.
Naharayim
Nur wenig weiter südlich, am Zusammenfluss von Jordan und Jarmuk, befindet sich Naharayim, die so genannte Friedensinsel. Hier baute Pinchas Rutenberg 1930 eine mittlerweile aufgegebene Wasserkraftzentrale, deren Überbleibsel immer noch zu besichtigen sind. Naharayim, dieses kleine Stückchen Land, erlangte 1994 Weltruhm, als es im Rahmen des Friedensvertrages zwischen Israel und Jordanien formal an Jordanien zurückgegeben wurde. Jedoch hatten Yitzhak Rabin und König Hussein vereinbart, dass die israelischen Bauern das Land nach wie vor bewirtschaften durften, eine Art Leasingvertrag also. Ein spezieller Übergang wurde errichtet, der es ermöglicht, dass aus Israel kommende Touristen Jordanien für kurze Zeit ohne Visum besuchen können. 1994 war die Zeit der großen Friedenshoffnungen, die auch Orna Schimoni in diesem kleinen Flecken Erde verkörpert sah. Hier führte sie regelmäßig Schulklassen, denen sie von ihren Friedensvisionen erzählte: Jordanische und israelische Jugendliche gründen gemeinsam in Naharayim einen großen Park und gestalten diesen.
Dieser Traum wurde am Morgen des 13. März 1997 erst einmal gründlich zerstört. Orna Schimoni führte die Schulklasse ihrer Enkeltochter durch Naharayim. Auf einer Aussichtsplattform, von der aus die Gegend weitläufig zu überblicken ist, hielt sie ihren Vortrag. Von hier aus ist die Wasserkraftanlage Rutenberg gut zu sehen wie auch der Zusammenfluss von Jordan und Jarmuk. Gerade hatte sie die Führung beendet und die Kinder im Schulbus verabschiedet, als der jordanischer Grenzpolizist Mussa Mustafa das erste Mal sein M-16 Gewehr leer schoss, während er den Grenzpostenhügel hinunterlief und auf eine andere israelische Schulklasse aus Beit Sche’an zusteuerte. Orna Schimoni dachte zuerst, dass die jordanischen Soldaten in die Luft schießen würden und rannte in deren Richtung. Dann hörte sie die Schreie der 44 Schülerinnen im Alter von 13/14 Jahren. Mussa Mustafa feuerte eine zweite und sogar dritte Salve ab, bevor er von seinen Kollegen gestoppt werden konnte. Orna Schimoni rannte auf eine israelische Polizistin zu, die die Situation noch gar nicht begriffen hatte und rief um Hilfe und Ambulanzen. Nach langen zwanzig Minuten kam Hilfe aus Beit Sche’an. Sieben Mädchen konnten jedoch nicht mehr gerettet werden, die Schüsse hatten sie getötet. Drei weitere waren schwer und vier Mädchen leicht verletzt.
Auf ihrem Weg nach Hause malte Orna Schimoni in Gedanken folgendes Bild: Ein Baum mit rotem Stamm und verbrannten Zweigen, an deren Ende sieben Blumen-Bündel hängen, die die Namen der toten Mädchen tragen. Unmittelbar nach der Tragödie begann sie mit der Ausführung ihres Plans und setzte ihr Gedanken-Bild in die Tat um. Sie wartete nicht auf Genehmigungen, sondern sprach potentielle Unterstützer an, die auch tatsächlich das Gefragte kostenlos lieferten. Und – nach 30 Tagen war das Denkmal aus Blumen fertig. Auf sieben kleinen Hügeln, die aus weißen Kieselsteinen bestehen, sind die Namen der sieben getöteten Mädchen geschrieben, und zwar in rot blühenden Blumen. Seither wird die Anlage täglich von Orna Schimoni gepflegt. Ihr jüngster Sohn Eyal schlug sogar vor, als er die Anlage während eines Kurzurlaubes besuchte, sie am Baumpflanztag Tu Bischwat um einen Wald zu ergänzen. So sind in Naharayim mittlerweile zwar etliche Elemente anzutreffen, die in jeden ordentlichen Park gehören, nur haben sie leider gar nichts mit Orna Schimonis Traum eines gemeinsam von jordanischen und israelischen Kindern gestalteten Parks auf der Friedensinsel zu tun.
Jahr um Jahr rückt in Israel der Traum vom Frieden weiter in die Ferne. Und was für das Land gilt, trifft auch für die Friedenssehnsucht Orna Schimonis zu. Vor allem das Jahr 1997 sollte für sie – wie auch für Israel – ein veritables annus horribilis werden.
Libanon
Israel antwortete 1982 auf den jahrelangen Raketenbeschuss aus dem südlichen Libanon durch Arafats Fatah mit dem Einmarsch in den Libanon. Orna Schimonis Mann, der 1992 frühzeitig verstorben war, hatte als hochrangiger Soldat im Libanon gedient, ebenso zwei Söhne und eine Tochter ihrer insgesamt fünf Kinder. Bereits Mitte der 1980er Jahre beschlich Orna Schimoni das Gefühl, dass es nicht richtig sei, Israel im Libanon zu verteidigen. Sie vertrat die Ansicht, dass Israel nur an seinen Grenzen verteidigt werden sollte, wodurch auch die Außenwelt von der Richtigkeit des Handelns Israels überzeugt werden könnte. Ihr Mann und ihre Kinder belächelten sie jedoch. Was wüsste sie als Frau schon von großen militärischen Strategiefragen? Aber Orna Schimoni ließ sich nicht verunsichern, weder von ihrem Mann noch von ihren Kindern, von überhaupt niemandem. Im Gegenteil, der Widerspruch spornte sie an. Sie vertrat immer deutlicher die Meinung, dass Israel sich aus dem Süden Libanons zurückziehen müsse, weil das der Sicherheit Israels mehr dienen würde als der Pufferstreifen bis zum Fluss Litani. Für Orna Schimoni war der jährliche Blutzoll unter israelischen Soldaten zu hoch. Für die Militärobersten dagegen war der Tod von durchschnittlich 25 Soldaten p.a. anscheinend vertretbar.
Das Jahr 1997 wurde jedoch ein Wendejahr. Bereits am 4. Februar waren in der Nähe von Sche’ar Yaschuv und Dafne am Fuße des Berges Hermon zwei Transporthubschrauber, die zusammen 73 Soldaten in den Libanon bringen sollten, bei schlechtem Wetter zusammengestoßen. Auf einen Schlag hatte Israel 73 junge Männer verloren, die meisten von ihnen waren Wehrdienstleistende gewesen, also zwischen 18 und 21 Jahre alt. Israel war eine weitere nationale Tragödie widerfahren. An der Unglücksstelle hat der international renommierte Bildhauer und Gestalter Dani Karavan ein beeindruckendes Denkmal errichtet, das zu besichtigen ist. Die Zufahrt zum Denkmal („Helicopters Memorial“) findet sich an der Junction Route 99, Abzweig zur Route Nr. 918, der gegenüber dem Kibbuz Dafne liegt.
Nun fand Orna Schimonis Standpunkt einen breiten Widerhall in der Bevölkerung. Mehr und mehr Menschen, Mütter wie Väter, wollten ihre Liebsten nicht mehr in den Libanon schicken. So entstand eine Bewegung, die „Die Vier Mütter“ genannt wurde. Die Bezeichnung „Vier Mütter“ ist eine Referenz an die Erzmütter der Bibel. Mittlerweile sprach Orna Schimoni nicht mehr nur auf Familienfeiern und mit Nachbarn über ihre Ansichten. Mit der Bewegung fand sie den politisch-öffentlichen Raum, um gegen den Verbleib der israelischen Armee im Libanon zu demonstrieren. Unter anderem setzte sie sich hartnäckig gegenüber dem Bürgermeister von Haifa, Amram Mitzna, dafür ein, dass Israel den Abzug aus dem Libanon wagen sollte. Dabei ging sie ausgesprochen überlegt vor und verzichtete darauf, ihr großes Ziel durch Radikalforderungen zu gefährden und verfolgte stattdessen eine Politik der kleinen Schritte.
In der Zwischenzeit war auch Eyal, ihr jüngster Sohn, in den Armeedienst getreten. Auch er musste in den Libanon und wurde Panzerkommandant in der Nähe von Reichan. Für Familie wie Freunde war er der Inbegriff eines überzeugten Zionisten. Er hatte Ideale und war immer bereit, mehr zu leisten als von ihm verlangt wurde. Er lebte seine Führungsrolle in der Armee. Zudem verfügte er über ein großes theoretisches Wissen, das Eingang in die Lehrpläne der Soldaten fand. Die Armee wollte Eyals Wissen und Erfahrung nutzen und ihn als Instrukteur im Süden Israels verpflichten. Eyal aber war der festen Überzeugung, dass er bei seiner Truppe bleiben sollte und bedrängte seine Vorgesetzten so lange, bis sie schließlich nachgaben. Am 18. September 1997 traf eine Rakete den Panzer, in dem Eyal saß. Es war eine Rakete der kleineren Bauart gewesen, die lediglich leichte Verletzungen bei den anderen drei Kameraden im Panzer verursachte. Eyal war jedoch am Bein von einem Splitter getroffen worden, der die Hauptarterie aufgerissen hatte, so dass Eyal auf der Stelle verblutete.
Beit Eyal
Orna Schimoni saß Schiva, nicht sieben Tage, es müssen an die sieben Monate gewesen sein, bis sie endlich wieder einigermaßen zu sich kam. Während der Trauerzeit besuchten sie Freunde und Verwandte. Mit der Zeit überzeugten die Besucher Orna Schimoni, dass Eyal ein Andenken, ein sichtbares Andenken brauche, um deutlich zu machen, was für eine Persönlichkeit er gewesen war. So wurde das Projekt „Beit Eyal“, Haus Eyal, geboren. Beit Eyal sollte ein Zeichen des Schalom sein, das die Harmonie des Lebens verkörpert. In diesem Haus sollten Behinderte und nicht Behinderte, Soldaten wie Zivilisten gemeinsam lernen, sich begegnen und Sport treiben. Aus der Idee entstand 2002 ein kleines, aber feines Fitnessstudio. Die Idee kam so gut an, dass alsbald weitere Pläne ausgearbeitet wurden. 2004 kam ein behindertengerechtes Schwimmbad mit Therapiemöglichkeiten dazu. Im folgenden Jahr wurden der Aerobicsaal und das Auditorium eingeweiht und 2006 das spezielle Physio-Schwimmbad eröffnet.
Aber noch ist der Kern, das Herzstück von Beit Eyal, leer: die circa 100 Meter lange Gedenk-Wand. Bislang hängt kein einziges Foto der im Libanon gefallenen Soldaten hier. Ihnen, den ca. 2000 Soldaten, die seit der Staatsgründung im Zusammenhang mit den Libanon-Kriegen gestorben sind, ist diese Halle gewidmet. Hier sollen die Fotos der 73 Soldaten von Sche’ar Yaschuv ihren Platz finden mit kurzen biographischen Angaben. Ebenso soll an Ehud Goldwasser und Eldad Regev erinnert werden, jene im Jahr 2006 entführten Soldaten, die nur als Leichen im Tausch gegen hunderte Gefangene und den Mörder Samir Kuntar nach Israel zurückkehren konnten.
Und natürlich soll Eyal, der Namensgeber, hier seinen Platz finden. Das Beit Eyal wird durch Spenden finanziert. Großzügige Beträge kamen von KKL aus Italien und auch von Holocaustüberlebenden aus Chile. Die Namen der circa 2000 gefallenen Soldaten sind der Armee bekannt, aber noch zögert sie mit deren Herausgabe.
Hingegen ist Orna Schimoni zuversichtlich, dass, wenn die 800.000 $ für die Wand der Erinnerung gesammelt sind, die Armee die Namen freigeben wird. Aus Erfahrung weiß sie, wie wichtig es ist, dass Angehörige einen Ort haben, wo ihre Lieben gewürdigt werden.
Von deutschen Gruppen wird immer wieder die Frage gestellt, warum denn die Wand der Erinnerung erst als letztes fertig gestellt wird. Die Antwort ist eine typisch jüdische. Erst an einem Ort, wo Menschen sich begegnen, kann erinnert werden. Den ersten Teil ihres Projektes hat sie umgesetzt. Orna Schimoni, eine Prophetin im Lande Israel, wird es schaffen, auch den zweiten Teil zu verwirklichen.
Anschrift:
THE EYAL FOUNDATION
In memory of Eyal Shimoni
“Beit Eyal – Harmony of Life”,
in the Jordan Valley
In the United Kibbutz Ashdot Yaakov
Der Artikel erschien am 8.Mai bei ZENITH online. Mehr …
Der Bericht hat uns so beeindruckt, dass auch die Reisegruppe der DIG Berlin und Potsdam am 30.05. dort einen Besuch machen wird. Meggie Jahn