„Ich muss deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten.“
Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979″ von Dr. Remko Leemhuis
Es ist nicht nur das Privileg, sondern die Pflicht einer Dissertation, aus Fakten Schlüsse zu ziehen. Das tut Remko Leemhuis in seiner Untersuchung, die er im August der DIG Berlin und Brandenburg vorstellte. Er betonte mehrmals, sie sei historisch, aber vieles kommt einem sehr aktuell vor.
So stellte er fest, dass in dem von ihm untersuchten Zeitraum von 1967 bis 1979 das politische Handeln der deutschen Diplomaten gegenüber Israel nicht von Mitgefühl für die Opfer schlimmster NS-Verbrechen geprägt war, sondern vielmehr von der Sorge vor negativen Reaktionen der arabischen Staaten und – von evidentem Antisemitismus.
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen war von beiden Seiten umstritten. Trotz der massiven Widerstände von Überlebenden der Shoa überwog in der Israelischen Regierung der Pragmatismus: Der junge Staat brauchte dringend Waffen zu seiner Verteidigung und Geld für die Integration der Zuwanderer, die die Bevölkerungszahl verdoppelten und verdreifachten.
In Westdeutschland war es dagegen die politische Elite, und dabei eben besonders im Auswärtigen Amt, die gegen diplomatische Beziehungen waren. Kein Wunder, denn in der Zeit von 1949 bis 1963 waren im Bundeswirtschaftsministerium 32,4 % der Beamten des höheren Dienstes mit herausgehobenen Funktionen aus dem früheren Reichswirtschaftsministerium tätig. Im Auswärtigen Amt (AA) waren 1949 bis 1955 von 98 Spitzendiplomaten 64,3 % zum Teil tief in das Unrechtsregime involviert gewesen.
Leemhuis hat methodisch Dokumente wie Briefe, Tagebücher, Protokolle etc. ausgewertet, die er im AA einsehen konnte. Er unterteilte seine Ergebnisse in drei politische Themenfelder:
1) Entschädigungspolitik, 2) Wirtschaftspolitik und 3) Palästinensischer Terror. Aufschlussreich sind vor allem die Zitate, die Meinungen der Zeitzeugen wiedergeben. Dazu ist die Lektüre des Buches empfohlen, hier können nur kurze Ausschnitte erwähnt werden.
Bei der Entschädigungspolitik ging es der deutschen Seite nicht wirklich um die Anerkennung von Verbrechen an den europäischen Juden wie Enteignungen und Völkermord. Es ging darum, dass man vor allem im Blick hatte, mit einer zumindest teilweisen finanziellen Kompensation des NS-Unrechts die Westbindung nicht zu gefährden. Zu der israelischen Forderung, die im 1952 im Luxemburger Abkommen vereinbarte Summe wegen des vermehrten Zuzugs von gesundheitlich Geschädigten nach Israel zu erhöhen, sind im Archiv des AA zahlreiche abwertende Anmerkungen verzeichnet. Ein neues Abkommen wurde 1970 zwar geschlossen, aber damit waren längst nicht alle Ansprüche von Berechtigten geklärt. Der damalige Außenminister Scheel vermerkte allerdings handschriftlich auf einer Akte dazu: „Das Bundeskanzleramt ist vorsorglich darauf aufmerksam zu machen, dass ich mich allen Sonderregelungen über das Bisherige hinaus widersetzen werde.“
Besonders die amerikanische Serie ‚Holocaust‘ löste in den 70er Jahren im AA antisemitische Statements aus. Deutsche Diplomaten merkten u.a. an, es handle sich dabei wohl um eine Holocaust-Kampagne, die für weitere Wiedergutmachungsleistungen den Boden bereiten solle und auch, dass sie wohl dem jüdischen Einfluss in den amerikanischen Fernsehgesellschaften zu verdanken sei. Und an dieser Stelle wurde überlegt, ob das mit zusätzlichen Zahlungen erkaufte Wohlwollen der Juden in USA und Israel nicht weniger wichtig sei als die Nachteile, die Araber zu verärgern…
Die sogenannte ‚Abschlussgeste‘, eine weitere Zahlung an Israel in den 80er Jahren, kam nur aufgrund des Einsatzes des Bundeskanzleramts und gegen den Widerstand der Opposition zustande.
Die deutsche Wirtschaftshilfe für Israel begann im Mai 1966, ein Jahr nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen. Zu spät für den stets an der Zahlungsunfähigkeit balancierenden jungen Staat. Es ist dem Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben-Gurion zu verdanken, dass unter größter Geheimhaltung finanzielle Hilfen bereits ab 1960 geleistet wurden. Mit dem offiziellen Vertrag wurden sie dann beendet.
Allerdings waren die Diplomaten gegen diese Unterstützung. Nicht nur die Angst, diese Aktion für Israel könne das Verhältnis zu den Arabern gefährden, war dabei im Fokus. Auch die Tatsache, dass die Devisennot Israels ja wohl eine Folge seiner Waffenkäufe sei. Dabei wurde sträflich außer Acht gelassen, dass es nach dem Sechs-Tage-Krieg auch bekanntermaßen eine von arabischen Staaten postulierte Strategie war, durch das Hochhalten der Spannungen den jüdischen Staat zu hohen Ausgaben im militärischen Bereich zu zwingen. Schon damals, 1971, wurde von einem Diplomaten in einem Dokument Israel seine „starre unnachgiebige Haltung“ vorgeworfen im Bemühen um eine Friedenslösung und festgehalten, dass „wir nicht das mindeste Interesse daran haben, mit Israel ‚besondere Beziehungen‘ zu unterhalten.“ Und dabei forderte er, die Wirtschaftshilfe einzustellen. Sie wurde nicht eingestellt, wurde aber aufgrund des Drucks dagegen auch nicht erhöht.
Keine gute Figur machte dabei auch der in Israel umstrittene erste Botschafter der Bundesrepublik, Rolf Friedeman Pauls. Leemhuis zitiert aus einem seiner Schreiben an die Zentrale: „Wir sollten den Israelis auch verdeutlichen, dass wir ihren ständigen Appell an unsere moralische Verpflichtung durchschauen: dass sie Moral sagen, aber Kasse meinen, nicht bereit, uns für die Leistung auch nur teilweise Entlastung zu erteilen…“
Bemerkenswert: Bereits ab Mitte der 70er Jahre zahlte Israel die Hälfte dieser Wirtschaftshilfe als Tilgung der Hilfen der vergangenen Jahre an Deutschland zurück. Diese finanzielle Unterstützung war also keineswegs eine Schenkung. Und mit den Rückzahlungsmodalitäten vor dem Hintergrund eines wachsenden Kaufkraftverlustes war es sogar eine kalte Kürzung.
In den Unterlagen fand Leemhuis auch zahlreiche Anmerkungen der Diplomaten zum palästinensischen Terror. Und stellt fest: Dessen Verharmlosung zieht sich durch den gesamten Untersuchungszeitraum. Für Botschafter Pauls war nicht der Terror gegen Israel das Problem, sondern die Sorge vor „…Vergeltungsaktionen (Israels)…, wodurch die schon jetzt prekäre Lage im Nahen Osten noch weiter verschärft werden würde.“
Leemhuis konstatiert die erstaunliche Kälte und das ungeheure Maß an Gleichgültigkeit in den Reaktionen der Diplomaten auf den Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972. An der Spitze Außenminister Scheel, der wieder handschriftlich auf das Bestreben eines Abgeordneten des Bundestages, arabische Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, kommentierte: „Gewiss muss man auf die berechtigte Empörung Rücksicht nehmen. Auf der anderen Seite geht das Leben weiter.“ Wieder war man im AA viel mehr um die Beziehungen zu den arabischen Staaten besorgt. Das konnte bei diesen als eine Aufmunterung verstanden worden sein, den Weg des Terrors weiterzugehen.
Dazu gab auch die Haltung des damaligen Bundeskanzler Willy Brandt Anlass. Obwohl in den Aufzeichnungen des AA klar belegt ist, dass die Terroristen des Schwarzen September Fatah-Angehörige und somit direkt Yassir Arafats Befehl unterstellt waren, ging es Brandt nicht darum, den Anschlag zu verurteilen. Im Gespräch mit dem israelischen Botschafter betonte er viel mehr seine Sorge, wenn die drei Attentäter vor Gericht gestellt würden, könne das wieder neue Anschläge provozieren. Und das deutsche Verhalten war insgesamt an dieser Stelle ein Desaster.
Weder trat der damalige Verhandlungsführer, Innenminister Genscher, nach dem eklatanten Scheitern des deutschen Eingreifens, in dessen Folge alle Sportler getötet wurden, zurück, noch wurde der Fortgang der Spiele unterbrochen. Trotz des Münchner Attentat ließen sich die Diplomaten immer wieder willig von der PLO zu Zugeständnissen erpressen, obwohl es weitere Anschläge wie die Entführung eines deutschen Verkehrsflugzeugs gab.
In der anschließenden Diskussion kam die Frage auf, wie sich der Autor der Untersuchung die nicht nur mit Antisemitismus erklärbare pro-arabische Haltung so vieler Deutscher, und besonders im AA, erkläre. Dazu zitierte Leemhuis aus den Memoiren des zweiten Botschafters Israels in der Bundesrepublik, Yohanan Meroz. Der hatte angemerkt, dass nur ein Vertreter Israels 21 Vertretern der Arabischen Liga gegenüber stand. So sei es unvermeidlich gewesen, dass die Quantität auch einen qualitativen Stellenwert erhielt. Das ökonomische Ungleichgewicht eines sich stets in prekärer Lage befindlichen, kleinen Landes im Verhältnis zu den weltweit größten Erdöl-Förderländern tat ein Übriges. Und hinter allem spielte sicherlich auch noch eine gewisse Form von ‚Orientbegeisterung‘ eine Rolle.
Leemhuis fiel dann beim Aktenstudium auf, dass die Diplomaten aus einer kulturrelativistischen Haltung heraus offenbar totalitäre Diktaturen für den Normalzustand in der arabischen Welt hielten. Nur so könne er es sich erklären, dass die Frage der Menschenrechte von den Bonner Diplomaten gegenüber ihren arabischen Kollegen in keinem der untersuchten Berichte erwähnt wurde.
Aus heutiger Sicht hat die Haltung der damals aktiven Diplomaten großen Wiedererkennungseffekt: Während kein Wort der Kritik gegen die arabischen Staaten, beispielsweise wegen des Münchners Attentats, zu hören war oder wegen des Angriffs auf Israel 1973, wurde die Politik Israels permanent öffentlich angeprangert – laut der Diplomaten ‚als Freunde und aus Sorge um den Fortbestand des jüdischen Staates‘.
Leemhuis bedauert, dass die NS-Vergangenheit für die Diplomaten in den Beziehungen zu Israel keine Rolle gespielt hat. Das betonten sie schon in den 60er Jahren. Stattdessen herrschte großes Verständnis für das ‚historische Trauma‘ der Araber wie die geheimen Waffenlieferungen der BRD an Israel.
Daher lautete sein Schluss bitter: Nahezu jedes Zugeständnis, jeder Akt der Solidarität für den jüdischen Staat musste nicht selten gegen den erheblichen Widerstand der Diplomaten im AA durchgesetzt werden.
Dr. Remko Leemhuis ist Direktor des American Jewish Committee (AJC) Berlin. Er publizierte das Buch „’Ich muss deshalb dringend von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten‘. Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979“ 2020 im Berliner LIT-Verlag.
Bericht: Maya Zehden