Bericht: Diskussion mit Necla Kelek


‚Wenn muslimische Zuwanderer uns und unsere Lebensweise nicht aushalten können, müssen sie das Land verlassen‘ –
Unsere Gesellschaft müsse lernen, zu ihren Werten zu stehen und sie zu verteidigen, so Dr. Necla Kelek in ihrem Vortrag

Necla Kelek ist eine deutsch-türkische Sozialwissenschaftlerin, Publizistin und Frauenrechtlerin türkischer Abstammung. Als Expertin für Migrationssoziologie und islamisch geprägte Parallelgesellschaften in Deutschland hat sie vieles aus dem Vortrag bereits in ihren Büchern thematisiert. Ihr Gefühl, sich in dieser Gesellschaft fremd zu fühlen, führte sie zu der Frage, warum die Integration nicht funktioniert.

Ihre Doktorarbeit schrieb sie 2001 in Greifswald und in Hamburg über das Thema „Islam im Alltag. Islamische Religiosität und ihre Bedeutung in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft“. Seit damals beschäftigt sie, welche Werte mit der Religion vermittelt werden – zur Situation der Frau und der Kinder in der muslimischen Gesellschaft, zur Stellung der Frau, Strukturen in der Familie und Fragen der Integration.

Klar ist, dass die Muslime, die deutsche Werte akzeptieren, zu Deutschland gehören. Und dass terroristischer Islam nicht dazu gehört. Aber was ist mit denen, die sich in Islamverbänden organisieren? Die Deutungsmacht der Dachverbände ist konservativ.

Schon die Frage nach einer Interpretation des Koran ist für die Konservativen Ketzerei. Auch dass Israels Existenzrecht in Frage gestellt wird, ist ein Ergebnis dieses archaischen Denkens. Eigentlich besteht für Muslime in Europa die Chance, hier in der Moderne anzukommen. Aber kaum einer nutzt diese Möglichkeit. Muslimische Kinder werden immer noch dazu erzogen, keine Fragen zu stellen. Selbst zu denken, zu reflektieren wäre eine Chance, aber sie wird nicht ergriffen. Das liegt auch daran, dass sich viele Zuwanderer schlecht behandelt fühlen, unverstanden, frustriert sind und sich daher den Dachverbänden anschließen. Der Fehler ist, dass bei der Integration die Zuwanderer unter sich gelassen werden und sich nur die Dachverbände um sie bemühen.

Neu ist, dass es wachsende Widerstände gegen die Gängelung, den kollektiven Zwang zu einem rückwärtsgewandten Koranverständnis, gibt, das auf die Scharia hinausläuft. Kelek schätzt, dass mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime eher liberal und säkular eingestellt sind. Aber in der Politik fühlen sich säkulare Muslime nicht vertreten. Daher ziehen sie sich aus öffentlichen Debatten zurück, haben eben daher keine Stimme. Jetzt wäre der Zeitpunkt der Umkehr wie von Hamed Abdel Samad, Seyran Ates und anderen Liberalen gefordert wird. Es ist ein Fehler der Politik, nur die Dachverbände in Islamkonferenzen zu holen und nicht mit den Säkularen zu sprechen.

Kelek ist davon überzeugt, dass der Koran analysiert werden muss, wie es auch mit der Bibel geschehen ist. Sie erläutert den Weg Mohammeds vom Prediger zum Propheten, vom Visionär zum religiösen Politiker. Er sammelte einiges aus Christen- und Judentum für seine neue Religion, erhob aber den Anspruch, über allen anderen zu stehen – auf einer Stufe mit Stammvater Abraham – als der Vollender.

Dazu erläutert sie Mohammeds Himmelsreise aus Jerusalem heraus, die im Koran dargestellt ist. Diese Darstellung behauptet, dass der Koran ein perfektes, abgeschlossenes Werk sei, im Himmel geschrieben wurde und dass daher daran nichts geändert werden dürfe. Historiker meinen, Mohammed sei wohl nie wirklich in Jerusalem gewesen, aber mit dieser Legende erschuf der Koran den Anspruch der Muslime auf die Stadt.

Einer der Gründe für die heutige Judenfeindschaft im Islam beginne in Medina, als Mohammed wollte, dass sich die Juden ihm anschlossen. Aber obwohl er ihnen Zugeständnisse machte, lehnten sie ab. Da rächte er sich, indem er mehrere jüdische Stämme aus Medina vertrieb und einen Stamm tötete. Eigentlich müssten die Bücher und Hadithe jetzt genauer angeschaut werden. Auch in der christlichen und der hebräischen Bibel stehen schlimme Sachen. Aber warum ist der Islam besonders?

Dazu sei es wichtig, die Erzählung zur Himmelsreise Mohammeds kritisch zu hinterfragen. Sie verhindere einen grundsätzlichen Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen. Denn die konservativen Muslime erkennen andere Religionen nicht auf Augenhöhe an. Bei ihnen fehle eine Perspektive, wie es weitergehen soll. Wenn die Aussage, der Koran wäre im Himmel geschrieben, unumstößlich ist, kann keine Diskussion stattfinden. Das müsse überwunden werden. In diesem Zusammenhang sei auch der interreligiöse Dialog zu hinterfragen, welche Form des Islam dort jeweils eingebracht wird.

Die Ausbildung der Imame in Deutschland spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der säkularen Muslimen. Die ‚absolute Wahrheit‘ des Koran muss hinterfragt werden, damit liberale Muslime ihren Glauben in der modernen Welt leben könnten. Und dazu muss sich auch die Vermittlung der Religion in den Moscheen ändern.

Liberale Religionsführer und -führerinnen müssen endlich DIE Gesprächspartner für die Politik werden. Necla Kelek hat vor drei Jahren einen Verein gegründet, der parteiübergreifend daran arbeitet, einen alternativen Weg zu finden, um den Konservativen etwas entgegenzusetzen. Sie ist seit Januar 2020 die erste Vorsitzende des „Vereins Säkularer Islam Hamburg e.V.“ (VSI HH e.V.).

Kelek sieht den Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas nicht als einen Rachefeldzug. Er ist vielmehr ein Kampf gegen die Hamas als Teil des politischen Islam – auch deshalb gehe er uns alle an. Die Hamas ist die Vertreterin der althergebrachten Sicht, Jerusalem gehöre den Muslimen, Israel habe kein Recht dort zu sein. Die Begriffe „politischer Islam“ und „Islamismus“ werden meist gleichbedeutend verwendet. Der politische Islam ist eine Herrschaftsordnung, die einen fundamentalen Gegenentwurf zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten darstellt. Seine Vertreter streben die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft anhand islamischer Normen an.

Machtbewusst agieren seine Vertreter auch in Deutschland, erzeugen eine Vielzahl von Konflikten und setzen unsere Gesellschaft zunehmend unter Druck. Muslimische Gemeinden sollten nachweisen, dass sie nicht antisemitisch sind und menschlichen, nicht menschenfeindlichen Grundsätzen folgen. Beispielsweise untersteht die ‚Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.‘ (DITIB) durch ihren Vorstandsvorsitzenden in Deutschland, den jeweiligen Religionsattaché der türkischen Botschaft, damit gleichzeitig der Religionsbehörde DIYANET, dessen Vertreter in Deutschland er ebenfalls ist. DIYANET ist direkt dem Amt des türkischen Ministerpräsidenten unterstellt. Und DITIB stellt für ihre rund 900 Moscheen in Deutschland fast ausschließlich türkisch sprechende Imame aus der Türkei ein. Kelek fordert, Imame müssten grundsätzlich in Deutschland mit westlichen Werten ausgebildet werden, sonst verlieren wir unsere Jugend hier.

In der Türkei war die Gründung der Republik unter Atatürk 1923 unheimlich wichtig und hat das Land, bei allen Kritikpunkten, sehr vorangebracht. Erdogan hat das zurückgedreht.

1979 war ein Schlüsseljahr, in dem im Iran durch die Islamische Revolution von und mit Ayatollah Khomeini wieder alles Rückwärtsgewandte eingeführt wurde. Der Iran hat eine Schlüsselposition in der religiösen Haltung der Hamas in Gaza.  Früher war die Region Palästina von Juden, Arabern, Christen und anderen Religionen mehr oder weniger friedlich bewohnt worden. Seit der Ausbreitung des politischen Islam hat nicht nur der Judenhass zugenommen. Auch Christen werden in muslimischen Ländern verfolgt.

Necla Kelek wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, so 2005 mit dem Geschwister-Scholl-Preis und 2011 mit dem Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Maya Zehden

 

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