Von Dr. Ruben Friedmann
Am 22. April 2021 fand eine Online-Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg e.V. mit Frau Prof. Dr. habil. Silvana Greco zum Thema der jüdischen Identität in Europa statt.
Die akademische Soziologin, Buchautorin und Kuratorin Frau Prof. Greco ist aufgrund ihres Hintergrunds als Lehrbeauftragte für Soziologie des Judentums an der Freien Universität Berlin ausgewiesene Expertin für die kultursoziologischen und geschichtlichen Aspekte des europäischen Judentums.
Der Vortrag von Frau Prof. Greco erstreckte sich auf die verschiedenen Dimensionen der jüdischen Identität in Deutschland und Europa: von der klassischen religiösen Identität mit ihren verschiedenen Strömungen (v.a. liberal, reformiert, konservativ, orthodox) zur negativen Identifikation über die Shoah, von der säkularen jüdischen Identität der zugewanderten russischen Juden zur multikulturellen Biographie vieler jüdischer Familien, und schließlich mit einer Betrachtung der neuen Einwanderungswelle junger Israelis nach Deutschland- die aus vielerlei Gründen in das „Land der Verfolger“ auswandern und hierbei die jüdische Kultur in Deutschland zunehmend bereichern.
Bezogen auf den religiösen Aspekt der jüdischen Identität bezeichnete die Referentin das Judentum als Religion der „Orthopraxie“, der praxisbezogenen Religion, bei denen das Handeln und die Brauchtumspflege im Alltag im Mittelpunkt stehen- im Gegensatz zum Christentum als Religion der Orthodoxie, bei dem das Glauben über dem Handeln stehe.
Wie Frau Prof. Greco in Bezug auf die negative Identifikation durch die Shoah eindrucksvoll dargelegt hat, konnte das Trauma der Verfolgungsopfer einen Schatten auf den gesamten Familienverbund werfen und im Verhältnis zwischen den Generationen tiefgehende psychologische Verwicklungen zur Folge haben: in manchen Familien sprachen die Shoah-Überlebenden gegenüber ihren Kindern nie über das Erlittene, in anderen immer darüber. Die Kinder befanden sich oftmals in der schwierigen Situation, schnell reifen zu müssen, um Verantwortung zu übernehmen, ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken und sich in einer Art psychologischer Rollenumkehr als fürsorgliche „Retter“ um ihre Eltern zu kümmern. Erst in der Beziehung zwischen Überlebenden und ihren Enkelkindern sei dann eine gewisse Entspannung zu beobachten gewesen, welche eine Aufarbeitung der Trauer erleichtert habe.
Der äußerst informative und mit zahlreichen wertvollen Statistiken versehene Vortrag von Frau Prof. Greco konnte den Teilnehmern viele neue Erkenntnisse vermitteln, um jüdisches Leben im heutigen Europa und darüber hinaus in seiner ganzen Komplexität besser nachvollziehen zu können.
Den Zusammenschnitt der Veranstaltung finden Sie hier: