Verborgene Wurzeln des Israel-Hasses
Fotos und Bilder, die verstören. „Der Vater der Juden ist der Teufel“ stand 1935 am Ortseingang vom bayerischen Eschenbach. Kinder verbrennen eine Judas-Puppe mit Geldbeutel – 2019 im polnischen Pruchnik. Die „Judensau“ an der Stadtkirche in Wittenberg aus dem 13. Jahrhundert. Und bei uns – hier und heute? Hier sind die jährlichen Osterfeuer beliebt– oft werden dabei Strohpuppen verbrannt. Alles ganz harmlos? Nein! – sagt Tilman Tarach dazu. Die Bilder sind in seinem Buch „Teuflische Allmacht“ zu sehen. Sie sind Symbole alter Mythen im christlichen Judenbild.
Oft werde angenommen, so Tarach, dass der frühere und heutige „Judenhass“ unterschiedliche Gründe habe. „Aber das ist falsch“. Es existiere nur eine einzige – verborgene – Wurzel für den Antisemitismus. Und das seien die christlichen Gründungsmythen. Gab es auch vorchristlichen Antisemitismus? Dies zumindest hatten die Nazis so propagiert. „Doch darüber gibt es keinerlei Beweise oder historischen Belege“, sagt der promovierte Jurist Tilman Tarach. In der vorchristlichen Zeit gab es zwar religionsbedingte Feindseligkeiten. Aber in der Regel konnte jeder seine Religion relativ ungestört ausüben.
In den Apostel-Geschichten waren die Juden die Strippenzieher für die Kreuzigung von Jesus. Der Mythos von der teuflischen Allmacht der Juden entstand. Erst im 3. Jahrhundert setzte sich die Auffassung durch, das Jesus ein Gott war. Seit dem 4. Jahrhundert gab es Judenpogrome. Im Mittelalter unterstellte man den Juden, sie würden „Ritualmorde“ an christlichen Kindern verüben, um ihr Blut für Pessachfeiern und magische oder medizinische Zwecke zu verwenden. Ab dem 14. Jahrhundert meinte man, die Juden wollten die Christen Europas auslöschen. Später übernahm der „Stürmer“ diese These und propagierte: „Die Juden sind unser Unglück“. Julius Streicher, überzeugter Christ, berichtete 1945 über seine Schulzeit und sein kindliches Entsetzen über die Kreuzigung. Der christliche Antisemitismus, sagt Tarach, werte die Juden eigentlich auf, indem er sie als gefährlich darstelle. Antisemitismus als Notwehr. „Deutsche wehrt euch.“
Das Bild vom gefährlichen Juden, so Tarach, sei ein Teil des kollektiven Gedächtnisses. So wurden bei den Oberammergauer Festspielen erst im Jahr 2000 judenfeindliche Textteile gestrichen. Uns aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt sei der christliche Antisemitismus nicht wegzudenken, sagt Tarach. „Im Nahen Osten besteht die christliche antijüdische Tradition fort.“ Auf einer Propaganda-Postkarte im „Arabischen Aufstand“ 1936-39 wird Palästina, wie Jesus vor 2000 Jahren ans Kreuz geschlagen. Ein Palästinenser in Jesus-Pose hängt in einem Davidstern – ein Bild aus dem jordanischen Amman 1970. Und in der britischen Tageszeitung vom 27.1.2003 frisst auf einer Karikatur Ministerpräsident Ariel Sharon ein palästinensisches Kind. „Auch wenn im Islam die Juden die Verlierenden sind, minderwertig und unfähig – wenn es oft heißt, ‚die Juden sind unsere Hunde‘ – so gibt es dennoch aus islamischer Sicht eine jüdische Gefahr“ Im frühen Islam, so betont der in Berlin und Istanbul lebende Buchautor, wurden die Juden wegen ihrer Schwäche geduldet. „Israel folgt dem nicht, daher ist es der Feind!“
Wo ist der Philosemitismus geblieben, den es hier nach dem 2. Weltkrieg gab? Das fragte ein Zuhörer des Abends. In den Kirchen des Berliner Bezirks Wilmersdorf sei in letzter Zeit nur für Palästinenser gebetet worden, nicht aber für Israelis. Ein anderer Diskutant berichtete aus dem Iran: „Gute“ Juden seien gegen Israel, sonst seien sie gefährlich. Sogar „Brot für die Welt“ sei aktuell eher gegen Israel. Aber immer noch gelte, so Diskussionsleiterin Maya Zehden.: „Empathie für die Menschen ist wichtig, nicht nur für Juden.“
Text: Gudrun Küsel