Fachkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung anlässlich des 60. Jahrestags der Gründung des Staates Israel am 13. November 2008
Die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 leitete sechs Jahrzehnte moderner israelischer Geschichte und Unabhängigkeit ein. Ausgehend von den sozialistischen Idealen seiner Gründergeneration, hat der Staat eine beeindruckende wirtschafts- und sozialpolitische Leistung erbracht und präsentiert sich heute als moderne Hightech-Nation, die sich mit den gleichen Herausforderungen der Globalisierung konfrontiert sieht wie andere westliche Staaten. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) begleitet den 60. Jahrestag mit einer Reihe von Veranstaltungen. Im Anschluss an die Auftaktveranstaltung im März sollte mit dieser Fachkonferenz zur Bildungspolitik in Kooperation mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Berlin und Potsdam und der Hebrew University of Jerusalem das Fundament der Erfolgsgeschichte Israels – die Integration bzw. Absorption eines hohen Anteils von Immigranten durch erfolgreiche Bildungspolitik – vertieft diskutiert werden. Deutlich wurde dabei gleich zu Beginn, dass für Länder wie Israel und Deutschland, die kaum über Rohstoffvorkommen verfügen, die Ressource „Bildung“ von großer Bedeutung ist. Dennoch stehen beide Länder vor aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen.
Prof. Tamar Ariav vom Beit Berl Academic College, der größten außeruniversitären Bildungseinrichtung Israels die u.a. Lehrerfortbildungen für Lehrer arabischer Schulen anbietet, wies darauf hin, dass die israelische Gesellschaft eher auf dem Grundsatz der Diversität durch Bildung als auf einem Ansatz von Integration, der mittlerweile als gescheitert gelte, beruhe. Prof. Ariav machte auf wichtige Entwicklungen im Bildungssystem aufmerksam: So sinke die Wertschätzung für Lehrer rapide, dies sei inbesonders bei öffentlichen Schulen zu beobachten. Damit sinken auch die Anreize, Lehrer zu werden. Gleichzeitig seien Privatisierungstendenzen im Bildungsbereich festzustellen. Die Notwendigkeit, Reformen einzuleiten habe zur Einführung neuer Studiengänge für Lehramtsstudenten geführt. Arie Kizel, ehemaliger Schuldirektor und Fellow am Mandel Leadership Institute, sieht das israelische Schulwesen gegenwärtig an einer Wegscheide. Im Gegensatz zu dem „zionistischen Narrativ“, das lange Zeit die israelische Gesellschaft und das Bildungssystem dominierte und das der Umsetzung der Idee eines „Schmelztiegels“ diente, würde gegenwärtig ein „Kampf der Narrative“ stattfinden. Diese Auseinandersetzung beruhe auf einem sich immer weiter pluralisierenden System, das sich vom staatlichen Schulsystem entkoppelt. Deutlich wird dies an der Zunahme privater Schulen, an getrennten Bildungssystemen für säkulare und religiöse Juden mit einem sich zunehmend isolierenden ultra-orthodoxen System und der Forderung der arabischen Minderheit nach Anerkennung ihres Narrativs. Kizel machte deutlich, dass die Vorstellung von einem „Schmelztiegel“ nicht verwirklicht werden konnte und dass die Frage nach dem Umgang mit der zunehmenden Pluralisierung und Ausdifferenzierung und damit die Frage nach dem Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft noch unbeantwortet ist. Entscheidend sei jedoch ein Dialog – insbesonders mit der arabischen Minderheit. Erhard Laube, Abteilungsleiter operative Schulaufsicht, Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, wies auf einen grundsätzlichen wichtigen Unterschied in der Frage der Integration hin: In Deutschland würde Integration die Aufforderung zu Assimilation – und damit implizit die Aufforderung der Aufgabe der Identität – beinhalten. Entscheidend für den Bildungserfolg sei in Deutschland die soziale Herkunft. Daher sei eine bessere Mischung von Klassen mit Kindern mit Immigrationshintergrund erforderlich, um ihren Spracherwerb und damit ihre Integration zu fördern. Er betonte, dass sich Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund öffnen müssen um auch für deutschsprachige Kinder attraktiv zu werden.
In Israel wird der akademischen Ausbildung traditionell ein hoher Stellenwert zugeschrieben, da es kaum alternative Berufsausbildungen gibt, die Anforderungen am Arbeitsmarkt hoch sind und in der jüdischen Tradition Bildung eine große Bedeutung hat. Die Zahl der Studierenden in Israel hat sich in den vergangenen 60 Jahren verhundertfacht. Besonders seit Beginn der 90er-Jahre ist ein ständiges Ansteigen der Studentenzahlen zu beobachten. Erst ganz kurz vor Beginn des neuen Studienjahres kam es zu einer – vorläufigen – Einigung über die Bereitstellung dringend benötigter zusätzlicher öffentlicher Mittel für Universitäten. In einer zweiten Diskussionsrunde standen deshalb Fragen nach dem Hochschulsystem und seiner Finanzierung sowie die Frage der Integration der arabischen Minderheit im Vordergrund. Prof. Faisal Azaiza von der Universität Haifa knüpfte an die von Kizel im ersten Panel erläuterte Auseinandersetzung konkurrierender Narrative an und machte deutlich, dass mit der arabischen Minderheit zwei parallele Gesellschaften in Israel existieren, wobei die arabische Minderheit an Hochschulen deutlich unterrepräsentiert ist. Das Hochschulsystem in Israel leide seit Jahren besonders an Kürzungen der öffentlichen Hand bei einem gleichzeitigen deutlichen Anstieg der Studierenden sowie der Abwanderung israelischer Wissenschaftler ins Ausland. Gleichzeitig komme es im Bereich der Finanzierung öffentlicher und privater Einrichtungen zu Spannungen.
Prof. Gad Yair von der Hebrew University ging anhand der Erfahrungen seiner Universität dem Phänomen von Studienabbrechern auf die Spur. Dabei stellte er fest, dass diese eher die Universität wechseln, als dass sie sie ohne Abschluss verließen. In Bezug auf die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit wies er auf den eklatanten Mangel an weiblichen Professoren hin. Bis zur Promotion überwiegen Frauen in den verschiedenen Studiengängen, nach der Promotion ändert sich dies jedoch schlagartig. Die aktuelle Herausforderung bestehe darin, einen Wandel einzuläuten und gezielt Frauen zu fördern. Andrea Hoops vom Deutschen Studentenwerk, das regelmäßig die Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in der Bundesrepublik Deutschland vorlegt, welche als zentrale Informationsgrundlage für hochschulpolitische Entscheidungen gilt, beleuchtete die Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen. Dabei stellte sie fest, dass in Deutschland ein System der sozialen Selektivität einen Mangel an Chancengleichheit im Bildungssystem produziert. Besonders wichtig ist dabei die Einführung von Studiengebühren in Deutschland die nachweislich mit für den Verzicht auf ein Studium verantwortlich ist. Hoops forderte deshalb mehr Unterstützung bei der Finanzierung eines Studiums und eine soziale Öffnung von Hochschulen. Auch in Israel sind Studiengebühren und die Debatte über ihre Erhöhung ein wichtiges sozialpolitisches Thema, denn eine sozialverträgliche Gestaltung mit beispielsweise gestaffelten Gebühren oder der gezielten Unterstützung sozial schwächerer Gruppen steht aus.
Die ReferentInnen äußerten verschiedene Erwartungen an die neue israelische Regierung, die am 10. Februar 2009 gewählt werden wird. Angemahnt wurden in der schulischen Bildung weiterhin dringend benötigte Reformen wie eine Erhöhung der Gehälter von Lehrern, eine Verringerung der Klassengröße, mehr Unterrichtsstunden und die Abschaffung von Zahlungen für Schulbücher, Exkursionen etc. Für die Finanzierung der öffentlichen Universitäten ist eine Erhöhung des Budgets wichtig. Auch wenn hier erst kürzlich Zusagen gegeben wurden, ist deren Stellenwert vor der Verabschiedung des Haushalts 2009 nach den Neuwahlen unklar. Grundsätzlich offen ist, welche Bedeutung die neue israelischen Regierung der Bildung einräumen wird.
Ein Bericht von Annette Lohmann, Fotos von Joachim Liebe, FES