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„Das Israelbild in deutschen Schulbüchern“
Eine Broschüre der Arbeitsgemeinschaften der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Bremen, Hannover, Oldenburg und Ostfriesland und Scholars for Peace in Middle East, Germany e. V.
Einleitung der Broschüre
von Jörg Rensmann, Vorstands-und Gründungsmitglied Scholars for Peace in the Middle East, Deutsche Sektion; Vorstand Mideast Freedom Forum Berlin.
Sie mögen sich fragen, warum es so wichtig ist, sich mit dem Israelbild in deutschen Schulbüchern zu befassen. Was hat das über das wichtige Medium Schulbuch an junge Menschen vermittelte Israelbild mit unsere Demokratie zu tun, insbesondere mit der Bekämpfung von Antisemitismus, einer Aufgabe, die von der Bundesregierung vollkommen zu Recht als für alle Bevölkerungsgruppen notwendig zur Stärkung von Demokratie angesehen wird und im Rahmen von eigens dafür aufgelegten Bundesprogrammen auch entsprechend gefördert wird? Vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung der Bundesrepublik ist eine besondere Sensibilität im Umgang mit Antisemitismus unabdingbar, die die Traumata der jüdischen Bevölkerung im Blick hat. Antisemitismus ist eine Gefahr für jüdische Menschen und somit für unsere offene, demokratisch verfasste Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus darf allerdings nicht in der historisch-politischen Beschäftigung mit dem Thema verbleiben, sondern muss die Bekämpfung all seiner aktuellen Erscheinungsformen als Teil der bundesrepublikanischen Staatsräson einschließen.
Angesichts der in allen Altersgruppen und flächendeckend verbreiteten antisemitischen Ressentiments und damit häufig verbundenen, gefährlich falschen Welterklärungen sowie der radikalen Verzerrung des Israelbildes ist die grundlegende Auseinandersetzung mit Fakten zur Entstehung und Gegenwart der israelischen Demokratie unerlässlich. Bis heute gibt es selten wirksame pädagogische Angebote, die sich fokussiert mit den besonderen Ressentiments, Vorurteilen und negativen Konnotationen gegen den jüdischen Staat beschäftigen. Dies ist umso erstaunlicher, als sich nach übereinstimmender Expertenmeinung der gegenwartsbezogene Antisemitismus vor allem am Staat Israel entzündet. Antiisraelische Vorbehalte werden nämlich teils vor dem Hintergrund einer erstaunlichen Unkenntnis über die komplexe historisch-politische Konfliktstruktur zwischen Israel und den Palästinensern formuliert. Antisemitisch motivierter Antiisraelismus verfügt zudem in der politischen Kultur über eine größere soziale Akzeptanz als offen antisemitische Äußerungen.
Die Ereignisse des Sommers 2014 in der Bundesrepublik haben die Dringlichkeit eines Handelns gegen israelbezogenen Antisemitismus unterstrichen. Während des Gaza-Krieges kam es zu Demonstrationen, auf denen antisemitische Parolen zu hören waren. In Wuppertal ist es zu einem Brandanschlag auf die dortige Synagoge gekommen. Juden und jüdische Israelis, die auf bundesdeutschen Straßen als solche zu identifizieren waren, sind körperlich attackiert worden.
Das Ausmaß des Antisemitismus lässt sich nicht verbindlich bestimmen. Antisemitismus ist mitnichten ein in reinen Zahlen zu erfassendes Moment gesellschaftlicher Wirklichkeit. Junge Erwachsene, die latent oder manifest antisemitisch agieren, sind unabhängig vom Spektrum, aus dem heraus sie sich rekrutieren oder agieren, also eine Gefahr für die Unversehrtheit von in der Bundesrepublik lebenden jüdischen Menschen. Dass jüdische Einrichtungen besonders geschützt werden müssen, ist traurige Realität. Antisemitinnen und Antisemiten sind darüber hinaus eine Bedrohung für die Demokratie schlechthin, weil sie sich von Vorurteilen und Ressentiments bzw. von geschlossenen antisemitischen Weltbildern leiten lassen, und dabei kaum oder gar nicht in der Lage sind, wichtige politische Fragen rational zu beurteilen. Das berührt den Kern der Möglichkeit von individueller Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen überhaupt: Urteile auf rationaler Entscheidungsgrundlage sind mindestens erschwert, wenn nicht unmöglich. Wer beispielsweise an Verschwörungstheoreme glaubt, hat ein statisches Bild von Gesellschaft, das ein individuelles Eingreifen etwa in Meinungsbildungsprozesse oft von vornherein als vergeblich abtut. Zugleich sind diese Menschen anfällig für Radikalisierungstendenzen, da der demokratische Prozess als angeblich fremdgesteuert und hermetisch erscheint.
Der Antisemitismusbericht der Bundesregierung von 2011 identifiziert zudem die extremistische Ideologie des Islamismus als einen neuen Träger von Antisemitismus und beschreibt davon ausgehende Gefahren. Damit ist keine Gewichtung gegenüber den anderen Erscheinungsformen des Antisemitismus in Deutschland verbunden, doch haben jüngere Ereignisse in Europa gezeigt, dass vor allem der islamistische Antisemitismus eine oftmals tödliche Gefahr für das Leben der in Europa lebenden Jüdinnen und Juden darstellt. Ihm gebührt daher ebenfalls Aufmerksamkeit. Islamismus meint nicht die individuelle Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft des Islam, sondern dezidiert eine politische Ideologie, die sich gegen die universal gemeinten Freiheitsrechte des Einzelnen, gegen die
Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Religion und sexueller Orientierung und gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung als eine der Voraussetzungen freier Gesellschaftsformen richtet.
Die schulische Bildung und Pädagogik sollte auf die Ausbildung der Ich-Stärkung junger Menschen zielen, auf deren Reflexionsfähigkeit, die gängige Klischees und Meinungen anzweifelt, kritisch hinterfragt und in rationale politische Analyse mündet. Durch die Betonung der rationalen politischen Analyse soll bei der jüngeren Generation Selbstvertrauen in die eigene Fähigkeit zum rationalen Denken erzeugt werden. Nur dieses Selbstvertrauen befähigt die Subjekte dazu, Demokratie aktiv zu leben, zu stärken und damit auch einem auf Israel bezogenen Antisemitismus entschieden entgegenzutreten. Didaktische Materialien und damit auch Schulbücher müssen als kategorischen Imperativ faktengestütztes Wissen und gründliche Informationen zu Motivation und Verfasstheit der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure auf allen Seiten und nicht nur je subjektiv gültige Narrative vermitteln, um eine politische Analyse des Nahostkonflikts vornehmen zu können. Nur auf dieser Grundlage ist der Informations- und Wahrheitsgehalt von Medienberichten zu beurteilen. Und nur auf dieser Grundlage ist es möglich, die israelische Demokratie, israelische Geschichte, den israelisch-arabischen Konflikt und israelisches Regierungshandeln beispielsweise zur Terrorprävention zu verstehen. Die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen rationaler politischer Analyse und ressentimentgeladener Einseitigkeit dient der Stärkung des Subjekts und des demokratischen Bewusstseins.
Die von der SPME Arbeitsgruppe Schulbücher bisher getätigten Untersuchungen zum Israelbild in den bislang ausgewählten Schulbüchern aller Jahrgangsstufen haben erschreckende Ergebnisse zutage gefördert, wie die in dieser Broschüre versammelten Aufsätze im Einzelnen gut dokumentieren. Dabei geht es um Verkürzungen, Verzerrungen und offene Falschaussagen in Bezug auf Israel und den israelisch-arabischen Konflikt, wie sie sich übrigens auch in Schulbüchern zum Islam feststellen lassen. Wir müssen davon ausgehen, dass, sofern dieses didaktische Material nicht nachhaltig verbessert bzw. verändert wird, es keinen Beitrag zum Urteilsvermögen junger Menschen leistet. Sofern Schulbücher in ihrer überwiegenden Mehrheit weiterhin kein faktenbasiertes Bild der funktionierenden israelischen Demokratie und des Nahostkonfliktes vermitteln, befeuern sie stattdessen Denkstrukturen, die zu antijüdischer Radikalisierung führen können und die zu verändern der Bundesregierung doch ein wichtiges Anliegen ist. Unsere Broschüre versteht sich daher nicht nur als wichtiger Diskussionsbeitrag, um Gefahren für ein plurales Miteinander in der Gesellschaft vorzubeugen. Sie versteht sich vor allem als Weckruf für ein dringend notwendiges politisches Handeln seitens der für Bildungsfragen zuständigen Bundesländer und nimmt den häufig von durchsichtigen Motiven der Abwehr geleiteten Vorwurf des Alarmismus dabei gerne in Kauf.
Das Israelbild in deutschen Schulbüchern ist dringend reformbedürftig, und noch ist vollkommen offen, ob und wann ein solcher Veränderungsprozess eingeleitet wird. Selbst die unzureichenden, in den 1980er Jahren zumindest in die richtige Richtung zielenden Empfehlungen der damaligen deutsch-israelischen Schulbuchkommission zur Veränderung des Israelbildes in Schulbüchern sind bis heute nicht annähernd umgesetzt worden.
Am 26. Januar 2015 hat Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Rede anlässlich der Befreiung der wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz vor Shoa-Überlebenden in Berlin betont, dass man sich in Deutschland frei von Angst für Israel einsetzen können muss. Wir brauchen ein vor allem laut und deutlich nach Innen wirkendes politisches Bekenntnis zu Israel als der einzigen funktionierenden Demokratie im Nahen und Mittleren Osten als Signal, das deutlich macht, dass auch der israelbezogene Antisemitismus, von wem auch immer artikuliert, politisch und gesellschaftlich geächtet ist.