Eine Veranstaltung aus Anlaß der „Woche der Brüderlichkeit“ in Kooperation mit der GCJZ
Plädoyer für eine Begegnung auf Augenhöhe
Der Islam ist in der Wahrnehmung der westlichen Welt und auch in der Darstellung ihrer Wissenschaftler ein auffälliger und kontroverser „Gegenstand.“ Für die einen ist der Koran selbst eine Bedrohung der westlichen Werte – denn auf ihn berufen sich diejenigen, die insbesondere Israel und Amerika, aber auch Europa immer wieder mit terroristischen Akten zu schädigen versuchen. Für die anderen ist der Islam die Religion einer unterdrückten Minderheit und das Bekenntnis zu ihr ein ehrenhaftes politisches Statement. Er müsse erst einmal eine Reformation hinter sich bringen, um sich als annehmbar zu qualifizieren, verfügen die einen, er sei das Judentum unseres Jahrhunderts und Muslime eine neuerdings von Juden und Christen gemeinsam verfolgte oder doch diskriminierte und ausgegrenzte Minderheit, beklagen die anderen.
Als der Bundespräsident sich hervorwagte mit der Behauptung, der Islam gehöre zu Deutschland, war eine solide Mehrheit auch von Israelfreunden hell empört und brachte ihre Empörung auch in lebhaften Diskussionen zum Ausdruck. Am Dienstagabend aber hatten die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die DIG gemeinsam zu einer Veranstaltung mit der Arabistin Professor Dr. Angelika Neuwirth und dem Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka ins Jüdische Gemeindehaus eingeladen. Der Rektor des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam erinnerte daran, dass gerade die Gründer der Wissenschaft des Judentums im 19. Jahrhundert mit großer Begeisterung auch den Koran entdeckten. Und die Autorin des Buches „Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang“ sprach mit Wärme von der intellektuellen Leistung und großen Schönheit, die man in diesem Werk der Weltliteratur in Europa erst einmal würdigen müsse. Historisch ist ihr Befund vollkommen klar und präzisiert die mehr als hundert Jahre alten Intuitionen und Forschungen von Gelehrten wie Abraham Geiger und Ignaz Goldziher: Der Koran entstand in lebhafter Debatte und Auseinandersetzung mit christlichen und jüdischen Diskussionen, die das geistige Leben in seiner arabischen Heimat dominierten. Er setzt sich mit der Bibel, dem heiligen Buch der Juden und Christen, auseinander, und gibt den Ergebnissen seiner Auseinandersetzung eine eigene Gestalt.
Wenn Homolka betonte, wie nahe Judentum und Islam einander seien, sobald sie – wie etwa in der Bundeswehr, deren Oberstleutnant der Reserve Homolka ist – sich in einer mehrheitlich christlichen Großorganisation behaupten müssten, wenn Neuwirth begeistert von den offenen Debatten berichtete, die sie in ihrer Zeit als Professorin in Amman mit den muslimischen Kollegen führen konnte, dann gelang es für eine wohltuende Weile zu glauben, es gäbe keine Probleme. Aber natürlich halten solche Idyllen leider nicht. Die Zeiten, in denen man noch neugierig aufeinander war, die Zeiten, in denen Muslime in arabischen Ländern Muslime in arabischen Ländern noch Lust hatten, die europäische Sicht auf ihren heiligen Text kennenzulernen, seien einstweilen vorbei, konstatierte Neuwirth. Umso faszinierender, dass die bloße Erinnerung an solche Zeiten ihr eine sanftmütige und freundliche Beschwörung der unter uns lebenden Muslime ermöglicht: sie sollen doch bitte für sich selbst sprechen. Sie sollen uns das zeigen, was sie besser können als wir – die Schönheit der Rezitationssprache und der Rhetorik ihres heiligen Textes würdigen – und von uns entgegennehmen, was wir vielleicht besser können: ein unterscheidendes Nebeneinander von Heiligkeit und Historizität des Textes denken. Dieser Appell, der von einigen Anwesenden sehr freundlich aufgenommen wurde, passte gut zu den Ausführungen von Homolka, der immer wieder die Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass die Gemeinsamkeit der Wurzeln auch wieder zu besseren Zeiten und besseren Gesprächen zwischen den drei Religionen führen könnte. Anscheinend muss insbesondere das protestantische Christentum sich, damit solche Zeiten anbrechen können, für eine Weile mit dem schwarzen Peter begnügen.
Da das einmal so war, erschien es der protestantischen Moderatorin nicht sehr unpassend, abschließend doch noch einmal daran zu erinnern, dass, der Schönheit und der gemeinsamen Wurzeln und der Wünsche der friedliebenden Muslime ungeachtet, gegenwärtig für den Koran wieder gestorben und getötet wird, und das schon seit einigen Jahrzehnten. Ohne die Bremse der Erkenntnis, die das Pferd der Kultur an empfindlicher Stelle sticht, würde es womöglich erlahmen, sagte schon der griechische Vater von Wissenschaft und Weisheit, Sokrates. Die Gefahr, dass man für länger als zwei Stunden vergessen hätte, mit welcher Welt die guten Ideen von Frau Neuwirth und Herrn Homolka es aufzunehmen haben, bestand natürlich nicht wirklich.
Ein Bericht von Dr. Gesine Palmer