Zu einer Veranstaltung mit dem pointierten Titel „Mit Eichmann stand Bonn vor Gericht“, hatte am 29. April die Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Berlin und Potsdam in Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) ins Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße eingeladen. Gekommen waren etwa 150 Gäste.
Veronika Kolb, Leiterin des Regionalbüros Berlin/Brandenburg der FNSF, zeigte sich erfreut über das große Interesse am Thema und stellte den Referenten des Abends, Dr. Peter Krause vor. Seine Forschungsarbeit zum Eichmann-Prozess 1961/62 erfolgte im Rahmen seiner Dissertation, die 2002 unter dem Titel „Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse“ auch als Buch veröffentlicht wurde. Zur Freude von Referent und Veranstaltern konnte an diesem Abend unter den Gästen seine „Doktormutter“, Prof. Dr. Gesine Schwan, begrüßt werden.
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Barbara Faccani, stellvertretende evangelische Vorsitzende der GCJZ, berichtete in ihrem Grußwort über ihre persönliche Erinnerung an jenen Tag im Mai 1960 als sie die aufsehenerregende Nachricht von der Festnahme eines ihr damals völlig unbekannten älteren deutschen Herrn namens Adolf Eichmann in Argentinien hörte. Diese spektakuläre Festnahme des NS-Verbrechers Eichmann an einer Bushaltestelle in Brunos Aires sowie seine Überführung nach Israel im Jahre 1961 bedeutete auch für den DIG Vorsitzenden Jochen Feilcke die erste Information und Auseinandersetzung mit der causa Eichmann. In seinem Grußwort hob Feilcke die Bedeutung der inzwischen zur Tradition gewordenen Kooperation der DIG mit der FNSF sowie mit dem Centrum Judaicum hervor. Er dankte besonders dem DIG Vorstandsmitglied Kerstin von der Krone für ihre Initiative, Peter Krause nach Berlin einzuladen.
Der Referent analysierte in seinem Vortrag über den Eichmann-Prozess 1960/61 das innerdeutsche Spannungsverhältnis und die geschichtspolitischen Selbstrechtfertigungen in Bezug auf den jeweils eigenen Versuch einer NS-Vergangenheitsbewältigung. Im Spiegel der ost- und westdeutschen Presseberichterstattung untersucht Peter Krause die gegensätzlichen Standpunkte im damals geteilten Deutschland. Für die DDR wurde der Eichmann-Prozess zum willkommenen Anlass, den jungen sozialistischen Staat als das wahre „demokratische” und „antifaschistische” Deutschland darzustellen. Die DDR war – in den Augen Ihrer Regierung -von Kämpfern gegen den Faschismus und Opfern des Faschismus gegründet worden und hatte für die NS-Verbrechen Adolf Eichmanns somit keinerlei Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen bezeichneten die Stimmen der offiziellen DDR Eichmann als „Handlanger des Kapitals“ dessen „Komplizen“ im Bonner Bundestag säßen. Die dort beheimateten „ehemaligen Kumpanen des Massenmörders“ wurden als imperialistische Kriegstreiber bezeichnet, deren geheimes Ziel es war, Eichmann nach Westdeutschland zurückbringen, um mit ihm gemeinsam eine „Neuauflage des Nazikrieges“ zu planen. Zu dieser Argumentationskette gehörte auch die Forderung, der umstrittene Adenauer-Vertraute Hans Globke sei genauso wie Adolf Eichmann wegen seiner NS-Vergangenheit zu verurteilen. Der DDR-Staatsführung lieferte der Eichmann-Prozess eine nützliche Folie zur Beschwörung einer massiven Kriegsgefahr seitens der ‚von ehemaligen Nazis beherrschten‘ BRD und damit eine weitere Rechtfertigung für die Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“. Die Bundesregierung vermied es, eine öffentliche Diskussion über den Vorwurf einer Verwendung ehemaliger Nazis in wichtigen Führungsämtern Westdeutschlands zu führen, da sie die Reputation der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährden wollte.
Auch die westdeutschen Medien reagierten auf die DDR-Propaganda so gut wie gar nicht. Stattdessen stellte man sich hier die Frage, ob und in welcher Weise man die Nachgeborenen mit den NS-Verbrechen konfrontieren solle. So gab es einzelne Pressestimmen, die aus pädagogischer Sicht warnten, eine zu ausführliche Beschäftigung mit den Nazi-Greueln könne bei der Jugend in Deutschland ein nicht zu bewältigendes Schuldgefühl auslösen. Auch der damalige Chefredakteur des STERN, Henri Nannen, vertrat die Ansicht, dass sowohl die deutschen als auch die israelischen Jugendlichen nicht durch eine Berichterstattung über den Eichmann-Prozess und die entsetzlichen Verbrechen belastet werden dürften, da sonst eine mögliche Annäherung oder gar Versöhnung zwischen Juden und Deutschen gefährdet würde. Der Philosoph Hermann Lübbe, so Krauses Anmerkung, prägte für dieses, in der westdeutschen Gesellschaft weitverbreitete Bedürfnis des öffentlichen „Nichtredens“ den Begriff des „kommunikativen Schweigens“.
Die Mehrzahl der Zeitungen sprach sich im Zuge des Eichmann-Prozesses jedoch für eine Aufklärung über die NS-Verbrechen aus. Die Nachkriegsgeneration müsse durch die Berichte über den Eichmann-Prozess von den „furchbaren Verfolgungen des jüdischen Volkes“ erfahren und vor neuen Beeinflussungen durch nationalsozialistische Gedankengänge gewarnt werden. Andere Autoren beschäftigten sich mit dem möglichen Verbleib der sogenannten „Eichmänner“ in Führungspositionen der jungen Bundesrepublik, aber auch mit der Notwendigkeit, der jungen Generation die historischen Voraussetzungen für die Teilung Deutschlands verständlich zu machen.
In der anschließenden, von Jochen Feilcke moderierten Diskussion zur Rezeption des Eichmann-Prozesses wurden sowohl von ehemaligen DDR- Bürgern als auch von „Westdeutschen“ sehr unterschiedliche, persönliche Erinnerungen zur Sprache gebracht. Hatte in der DDR-Propaganda eine extreme, geschichtsphilosophisch legitimierte Schuldabwehr und Schuldübertragung auf den „Westen“ stattgefunden, so wurde in der Bundesrepublik durch die Presseberichte über den Jerusalemer Eichmann-Prozess eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Verstrickungen der Deutschen in die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus auf den Weg gebracht.
Ein äußerst informativer und anregender Abend. Die lebhafte Diskussion wurde beim anschließenden Empfang auf Einladung der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit noch lange fortgesetzt.
Isabel Murray