Ein Freitagabend in Jerusalem. Gadi steht mit Schürze in der winzigen Küche seiner Wohnung, trinkt Brandy mit Wasser. Viele Gäste kommen durch die niedrige Eingangstür direkt ins Wohn- und Esszimmer. Kater Motek springt von Schoß zu Schoß. Serviert wird Avokadopaste mit Senf, zur Hauptspeise gibt’s die „gedrängte Wochenübersicht“ – eine Köstlichkeit aus Resten. Später am Abend verfüttert Gad die abgenagten Hühnerknochen auf seiner Dachterrasse an etwa zwanzig Straßenkatzen. Die Stunden dazwischen bestehen aus Geschichte und Geschichten, Geist und Humor, Lachtränen und Glückstränen.
Granach sagt: „Dieses Land zieht wie ein Magnet Verrückte an.
Wenn man ein Dach darüber ziehen würde, wär’s eine geschlossene Anstalt.“ Oder: „Immer werde ich gefragt, wo meine Heimat ist. Blöde Frage. Heimat ist da, wo man sich über die Beamten ärgert.“ Dann erzählt er, wie er bei der „Kupat Cholim“ saß, der Ortskrankenkasse, und wartete aufgerufen zu werden. Ständig seien andere an ihm vorbeigerauscht, hätten wichtig getan und gebrüllt „Ich habe ein Baby allein zu Hause“ oder „Ich habe das Essen auf dem Herd“. Am Ende habe er selbst verkündet „Ich habe ein Baby zu Hause auf dem Herd“ und durfte sofort ins Behandlungszimmer.
Jede Anekdote wird inszeniert, jedes Podium zur Bühne. Denn dieses Leben ist schicksals-, wunder- und skurrilitätsreich. 1915 in Rheinsberg geboren, als Sohn von Alexander Granach, dem Schauspieler („Ninotschka“), emigriert Gad 1936 nach Palästina. Ofenbauer hat er gelernt, wird Polizist in der „Jewish Settlement Police“, lenkt eine Schmalspurlok am Toten Meer, wird Einkäufer in einem Dorf für schwer erziehbare Kinder, leitet ein Künstlercafé in Jerusalem und ist Hausmeister in einem Zentrum der jüdischen Reformbewegung. Nebenbei betört er mit viel Charme und einem offenen Sportwagen die Frauen.
In Gad Granach bündelt sich eine versenkte, versunkene Welt, ein Traum, eine Traurigkeit. Deutsch kam er zur Welt – und blieb es bis zuletzt. Als Jude kam er zur Welt – und blieb es bis zuletzt. „Ich bin zwar nicht jüdisch erzogen, aber Weihnachten wurde bei uns immer gefeiert.“ Das stammt aus seiner Autobiografie „Heimat los!“ (Ölbaum-Verlag). Mit 95 Jahren ist Gad Granach jetzt in Jerusalem gestorben. Vielleicht nicht ganz unerwartet, aber viel, viel zu früh. (mal/Tagesspiegel vom 6. Januar)
Mehr:
- Der Mann, der Iris Berben heiraten wollte, von Henryk M. Broder
- „Kämpferischer Fürsprecher“ – Nachtkritik.de vom 7. Januar 2011
- „Der Geschichtenerzähler“, Jüdische Allgemeine, 25.03.2010
- Henryk M. Broder: Gad Granach zum 90sten
Persönliche Anmerkung:
Gerne hätten wir Gad Granach im Juni 2010 noch mit der Reisegruppe der DIG Berlin und Potsdam besucht, doch wollte ihm seine Freundin einen anstrengenden Besuch mit 35 Leuten nicht mehr zumuten. Das war durchaus verständlich.
Wir trauern um einen wunderbaren Menschen, den ich leider persönlich nie kennen gelernt habe.
Meggie Jahn