Nach einem Jahr Arabellion findet sich Israel in einer unwirtlichen Umgebung wieder. Der arabische Frühling ist zum Winter geworden. Israel hat mehrfachen Grund zur Sorge.
Von Hans-Christian Rößler
In Israel hat in diesem Jahr der Winter früh begonnen. Nicht nur die Temperaturen sind schneller gesunken als üblich. Auch das politische Klima ist frostig geworden. Der arabische Frühling ist schnell in einen Winter übergegangen, dessen Ende nicht abzusehen ist: Nach einem Jahr Arabellion findet sich Israel in einer unwirtlichen Umgebung wieder. Bisher waren die Beziehungen zu den Nachbarn zwar nie besonders herzlich. Aber die Regierung in Jerusalem wusste, was sie von ihren Partnern in Kairo, Amman und Ankara und ihren Feinden in Damaskus, Teheran und Gaza zu erwarten hatte.
Wie dramatisch der Umsturz ist, zeigt schon der Blick auf die Muslimbrüder: Auf einmal ist es eine optimistische Hoffnung, dass nur diese moderaten Islamisten die Macht übernehmen und die radikaleren Salafisten und Dschihadisten in Schach halten. Das ist nicht viel, denn von den Muslimbrüdern und ihren Gleichgesinnten zwischen Tunis und Damaskus kann Israel höchstens realpolitisch motivierte Zurückhaltung erwarten.
Eine Partnerschaft, wie sie mit dem ägyptischen Präsidenten Mubarak bestand, wird es nicht mehr geben. Stattdessen wird der Druck der Radikalen auf die moderaten Islamisten wachsen, den Friedensvertrag mit Israel zu kündigen oder die Reste der bisherigen Zusammenarbeit weiter zu verringern. Schon heute bekommt Israel die Schwäche der ägyptischen Führung auf der Sinai-Halbinsel zu spüren. Dort tun Schmuggler und Terroristen, was sie wollen. Die Hamas hat begonnen, aus Gaza Werkstätten für den Bau von Raketen über die Grenze hinweg zu verlagern. Die israelische Armee kann sie dann nicht mehr zerstören.
Ungewissheit über die Zukunft Syriens
In Jordanien, dem zweiten arabischen Staat, mit dem Israel Frieden geschlossen hat, konnte König Abdullah zwar die erste Welle der Proteste auffangen. Mit finanzieller Unterstützung vom Golf holte er einen Teil der Unzufriedenen von den Straßen – vorerst. Aber in Israel hält man es nicht für ausgemacht, dass der Monarch weitere Stürme überlebt. Vor allem die Islamisten machten während der Demonstrationen gegen den Friedensvertrag mit Israel mobil, der im haschemitischen Königreich alles andere als beliebt ist.
Syrian citizens take part in a rally in support of President Bashar al-Assad in front of the Syrian embassy in Minsk
Das bereits umkämpfte Syrien ist aus israelischer Sicht eines der wenigen Länder, in denen man noch hoffnungsvolle Entwicklungen erkennt. Denn der Sturz von Präsident Assad könnte ein Ende der „Achse des Bösen“ bedeuten, die von Teheran über Damaskus zur libanesischen Hizbullah-Miliz und der Hamas in Gaza reicht. Wie ernst die Lage ist, macht die Hamas deutlich: Sie sucht verzweifelt einen neuen Standort für ihr Politbüro, das bisher in der syrischen Hauptstadt war.
Die israelische Erleichterung darüber, dass Iran mit Assad vielleicht bald seinen wichtigsten arabischen Verbündeten verliert, könnte sich jedoch schnell eintrüben. Es gibt Anzeichen für einen Bürgerkrieg. Ungewiss ist, ob eine möglicherweise den Muslimbrüdern nahestehende sunnitische Führung stark genug wäre, das ganze Land unter Kontrolle zu halten. Syrien muss deshalb nicht gleich ein neues Somalia werden. Aber für die israelische Führung ist es ein beunruhigender Gedanke, dass syrische Raketen und Chemiewaffen in die Hände von Extremisten oder Terroristen fallen könnten.
Entscheidungsjahr im Iran
Auch Iran, das möglicherweise schon 2012 über eigene Atomwaffen verfügt, steht vor einem Entscheidungsjahr. Da die von Israel geforderten schmerzhaften und wirkungsvollen Sanktionen bisher nicht zustande kommen, zeichnen sich zwei Perspektiven ab, die für Israel ähnlich belastend sind: ein riskantes militärisches Eingreifen oder ein nukleares Wettrüsten im Nahen Osten. Nach der „schiitischen Bombe“ werden sunnitische Regime wie Saudi-Arabien nicht lange warten und sich ebenfalls nuklear bewaffnen.
Angesichts des arabischen Winters konzentriert sich die israelische Regierung auf militärische Vorbereitungen. Die Armee rüstet sich für denkbare Militäraktionen in Iran wie im Gazastreifen, baut die Raketenabwehr aus und errichtet an der ägyptischen Grenze einen Hochsicherheitszaun. Denn diplomatisch sieht man nicht einmal im moderaten Palästinenserpräsidenten Abbas einen Partner. Die Radikalisierung in der Region und der Sturz Mubaraks, der Abbas unterstützte, ließ die Kompromissbereitschaft in der PLO nicht wachsen. Die Hamas fühlt sich dagegen wegen des Aufstiegs der Muslimbrüder gestärkt. Gleichzeitig tat die Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu zuletzt nichts, um Abbas zu stärken. Im Gegenteil: seit Monaten lässt sie ihn Verärgerung über die palästinensische UN-Bewerbung spüren.