Der arabische Frühling fordert die deutsche Israel-Politik heraus: »Kritische« oder »bedingunslose« Freundschaft? Auch in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wird darum gestritten. Ein Kommentar von Jochen Feilcke, Chef der Berliner DIG.
Wenn schon der Spiegel über die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) schreibt, muss da etwas im Busch sein. Das Magazin interessierte sich natürlich nicht für das ehrenamtliche Engagement von 4500 Mitgliedern in 53 Arbeitsgemeinschaften in allen Teilen Deutschlands, sondern für den aufgespürten Konflikt. Den gibt es aber systemimmanent seit Gründung der DIG: »Freundschaft zu Israel – ohne wenn und aber« auf der einen Seite, »kritische Freundschaft« auf der anderen.
Eigentlich keine Gegensätze – sollte man denken. Denn selbstverständlich ist Kritik auch, oder sogar besonders, unter Freunden erlaubt. Die Frage bleibt jedoch nach dem wie und wo? Ich persönlich kritisiere meine Freunde unter vier Augen und zeige nach außen Solidarität, auch wenn ich von den »kritischen Freunden« ein Erfüllungsgehilfe genannt werde, der im Kadavergehorsam zur israelischen Botschaft handelt. Ich halte nicht viel von Freunden, deren »aber« immer deutlich zu hören ist – nach dem Motto: »Ich bin zwar ein Freund Israels, aber wir dürfen die Palästinenser nicht vergessen.« Natürlich muss man keinesfalls automatisch Gegner der Gegner seiner Freunde sein.
Nichts deutet darauf hin, dass die Ägypter den Frieden mit Israel wollen
Freundschaft beweist sich besonders dann, wenn die Zeiten schwierig oder zumindest herausfordernd sind, zum Beispiel jetzt. Die Aufstände in den arabischen Staaten verändern die nahöstliche Balance, verändern die Welt. Natürlich freut sich jeder aufgeklärte Mensch über Demokratiebewegungen, natürlich sollte aber auch sein, dass der Freund dabei nicht unter die Räder kommt.
Will die Mehrheit der Ägypter einen Frieden mit Israel? Nichts deutet darauf hin! Auch in Jordanien ist die Zukunft ungewiss – angesichts anhaltender Proteste hat König Abdullah eine neue Regierung ernannt. Ägypten und Jordanien waren über Jahrzehnte die Garanten für Israels Sicherheit im Süden und Osten. Gerade jetzt muss klar sein: Deutschland steht an der Seite des jüdischen Staates, komme, was da wolle.
Solche Sätze waren bis vor wenigen Jahren Selbstverständlichkeiten. Wer sie aussprach, galt als Aufstoßer offener Türen. Seit 2010 hat sich da einiges geändert. Im Deutschen Bundestag feierte die Fraktion der Linken ihre »Helden«, die an dem Versuch vom 31. Mai 2010 beteiligt waren, mit der so genannten Gaza-Flotille die Blockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen.
Alle Fraktionen gemeinsam verabschiedeten eine Resolution mit Ermahnungen in Richtung Israel. Um diesen Betriebsunfall wieder gutzumachen, erarbeiteten die Fraktionen des Bundestages mit Ausnahme der Linken eine Erklärung zur Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit.
Wer die Frage nach dem Existenzrecht stellt, der stellt es damit schon in Frage
So gut diese Erklärung ist, hat sie doch den Schönheitsfehler, durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf eine Resolution des Europäischen Parlaments de facto Israel zu Vorleistungen aufzufordern. Eine Resolution des Europäischen Parlaments ist immer ein Kompromiss zwischen 27 Mitgliedsstaaten. Deutschland sollte hier eindeutiger sein und die Freilassung ohne Vorbedingungen fordern!
Schon die Beteuerung »Ich bin für das Existenzrecht des Staates Israel« gilt in einigen politischen Zirkeln Deutschlands als Ausdruck der Unterstützung, ja der Freundschaft zum jüdischen Staat. Dabei ist diese Aussage so selbstverständlich und banal, dass ich meine: Wer überhaupt die Frage nach dem Existenzrecht Israels stellt, stellt es damit auch in Frage.
Zur Zeit der Gründung unserer Freundschaftsgesellschaft, der DIG, ging es sicherlich auch darum, die Staatsgründung Israels in der deutschen Öffentlichkeit offensiv zu rechtfertigen und zu verteidigen – heute jedoch stehen Israel und die deutsch-israelische Freundschaft vor zusätzlichen, neuen Herausforderungen. Unsere Solidarität muss sich beweisen, auch dann wenn wir nicht alles auf Anhieb verstehen oder verstehen können. Solidarität muss das Markenzeichen der stets beteuerten Einzigartigkeit unserer Beziehung zu Israel sein und bleiben.
Gerade weil Israel international delegitimiert, dämonisiert und mit anderen Maßstäben gemessen wird als seine Nachbarn, gerade weil Kritik an der Regierungspolitik – begründet oder unbegründet – häufig unmittelbar ans Eingemachte, nämlich an die Existenzfrage geht, gerade weil Israels Beziehungen zu seinen Nachbarn in einem sich zunehmend verändernden politischen Umfeld neu definiert werden müssen: Deutschland muss hundertprozentig an Israels Seite stehen. Das sollte sich eigentlich von selbst verstehen! Diese freundschaftlichen Beziehungen haben schließlich Deutschland nach den Schrecken des Holocaust den Weg in die Weltgemeinschaft erleichtert – heute ist Deutschland für Israel der wichtigste europäische Verbündete, Partner und Freund. Wir teilen die gleichen Werte und brauchen einander.
Jochen Feilcke, 68, ehemals CDU-Abgeordneter im Bundestag, war bis 2010 DIG-Vizepräsident und vertrat dort das Primat »bedingungsloser Freundschaft«. Im Zuge des Richtungsstreits um die Haltung gegenüger Israel verkündete Feilcke, vorerst nicht mehr für dieses Amt zu kandidieren.