Stellvertretender Ankläger blickt auf Eichmann-Prozess zurück.
Gabriel Bach im Gespräch mit Britta Bürger
Vor 50 Jahren, am 15. Dezember 1961, wurde Adolf Eichmann, Mitorganisator des Holcaust, in Jerusalem zum Tode verurteilt. Für die Staatsanwaltschaft hat Gabriel Bach damals am Verfahren teilgenommen. Im Gespräch berichtet er, wie er Eichmann vor Gericht erlebt hat. Das Interview hat Britta Bürger anlässlich des 50. Jahrestages des Prozess-Auftakts im April 2011 geführt.
Britta Bürger: Gabriel Bach ist Jahrgang 1927. Er wurde in Halberstadt geboren, ist in Berlin zur Schule gegangen und flüchtete mit seiner Familie 1938 über Holland nach Palästina, wo Gabriel Bach bis heute lebt – in Jerusalem. Dort hat er als Staatsanwalt und Richter Karriere gemacht und an einem der spektakulärsten Prozesse der Justizgeschichte mitgewirkt – dem Prozess gegen ehemaligen SS-Obersturmbandführer Adolf Eichmann, der vor 50 Jahren begonnen hat, am 11. April 1961. Ich hatte heute Vormittag die Gelegenheit zu einem intensiven Gespräch mit Gabriel Bach, den ich zuerst bat, uns zu schildern, was genau seine Aufgabe beim Eichmann-Prozess war.
Gabriel Bach: Ich war zu der Zeit der stellvertretende Generalstaatsanwalt von Israel und hatte Spionagefälle und andere behandelt, aber auf jeden Fall, zwei Tage nachdem Eichmann nach Israel kam, hat mich der Justizminister gebeten, ob ich bereit bin, der juristische Berater zu sein von dem Polizeibüro, das die Untersuchung gegen Eichmann geführt hat. Man hat ja damals ein ganzes Gefängnis dafür geleert, Eichmann war dort und 30, 40 Polizeioffiziere haben diese Untersuchung geführt, und ich hatte mein Büro dort. Ich habe eigentlich neun Monate neben Eichmann in diesem Gefängnis gelebt. Ich war jeden Tag früh dahin gekommen und war dort verantwortlich eigentlich für die ganze Untersuchung.
Aber ich kann hier erzählen, mein erstes Treffen mit ihm werde ich nie vergessen, da war ich an dem Tag in meinem Büro und las die Autobiografie von Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, der ’48 gehenkt wurde in Polen, also zwölf Jahre, bevor Eichmann gefasst wurde. Aber bevor er hingerichtet wurde, hat er seine Autobiografie geschrieben.
Und da las ich an dem Tag, wie er schrieb, dass er viele Tage hatte, wo er 1000 jüdische Kinder pro Tag töten musste, in den Gaskammern. Und er beschrieb hier, wie die Kinder manchmal gebeten hatten, verschont zu bleiben, und da schrieb er: Wenn ich die Kinder in die Gaskammer stoßen musste, da bekam ich manchmal Kniezittern. Aber dann hat er hinzugefügt: Aber ich habe mich dann immer geschämt über diese Schwäche von mir, nachdem ich gesprochen hatte mit Obersturmbannführer Adolf Eichmann, denn Eichmann hat mir erklärt, dass es hauptsächlich die Kinder sind, die man zuerst töten sollte. Da sagte er dann: Wo ist die Logik, dass man eine Generation von älteren Menschen umbringt und eine Generation von möglichen Rächern, die ja auch eine Keimzelle für die Wiedererrichtung dieser Rasse bedeuten könnten, dass man die am Leben lässt.
Das entbehrt vielleicht nicht einer makaberen Logik, aber zehn Minuten, nachdem ich das gelesen hatte, sagte mir ein Polizeioffizier: Eichmann will Sie sprechen. Also wie ich da die Schritte draußen hörte und wie er mir einen Meter entfernt gegenübersaß, nachdem ich das gerade gelesen hatte, da war es etwas schwierig, eine ruhige Miene zu behalten. Das war mein erstes Treffen mit ihm und auch so ein Moment, den man schwer vergessen kann.
Bürger: Auch ein Impuls, da geh ich jetzt doch nicht rein?
Bach: Das hatte ich eigentlich nicht. Denn wissen Sie, wenn man die ganzen Jahre hindurch immer nur hören musste und immer nur lesen konnte, was da vorgefallen war, und man konnte nie etwas dagegen tun, und hier war die Möglichkeit, gegen den Mann, der die entscheidende Wirkung und die entscheidende Aufgabe hatte, in allen Stadien der Durchführung von diesem grausigen Geschehen, und das zu tun wirklich auf demokratischste und juristisch berechtigte Weise, das ist doch etwas, was einem Befriedigung gegeben hat. Ich meine, wir haben diesen Prozess geführt, wie wir jeden anderen Strafprozess auch geführt hätten. Die deutsche Regierung war damals sehr kooperativ, und die haben uns ungeheuer viel Akten geschickt, die ganzen Akten von allen Ämtern und von allen Ministerien in Deutschland.
Bürger: Wenn Sie sagen, die deutschen Behörden waren unheimlich kooperativ, es hätte ja noch weitaus mehr Beweismaterial in diesem Prozess geben können, denn eine Reihe von Dokumenten haben Sie nicht bekommen, die sind bis heute noch unter Verschluss – Dokumente der Geheimdienste und des BND.
Bach: Was für Dokumente meinen Sie, die noch nicht … Ich meine, ich glaube, alles, was wirklich mit Eichmann zusammenhing, ich glaube, da haben wir alles bekommen, was eventuell relevant war.
Bürger: Aber es sollte doch zum Teil auch verschleiert werden, dass im Nachkriegsdeutschland Schlüsselpositionen der Wirtschaft, der Politik mit Menschen besetzt waren, die eine NS-Vergangenheit hatten. Wie stark haben Sie, Herr Bach, damals den diplomatischen Druck aus Deutschland wahrgenommen, bestimmte Zeugen, bestimmte Fakten aus diesem Grund nicht offenzulegen?
Bach: Das ist gut, dass Sie diese Frage fragen, denn wir werden sehr oft gefragt: Weswegen habt ihr nicht Zeugen reingebracht, die sagen, dass heute in der deutschen Regierung, also nach dem Kriege, noch immer Leute nicht entlassen wurden, die auch eine wichtige Figur waren damals im Naziregime? Aber das hatte mit Eichmann nichts zu tun. Die Tatsache, dass die deutsche Regierung nach dem Krieg, ob die das so getan haben oder anders getan haben, da ist sehr berechtigt, wenn jemand Kritik üben will, aber das hat absolut nichts damit zu tun, mit Eichmann, der nach dem Krieg keinerlei Funktionen mehr hatte. Unser Gericht hätte das auf keinen Fall akzeptiert. Jede Aussage wurde von unserem Gericht untersucht, ob sie wirklich mit Eichmann in Verbindung stand.
Bürger: 50 Jahre nach der Eröffnung des Prozesses gegen Adolf Eichmann sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Gabriel Bach, dem damaligen stellvertretenden Ankläger in Jerusalem. Herr Bach, Adolf Eichmann wurde ja zum Inbegriff des Schreibtischtäters. Die Prozessberichte der Philosophin Hannah Arendt, die mündeten in dem umstrittenen Begriff der Banalität des Bösen, das hat ja alles eine lange Geschichte und Nachwehen gehabt. Hat diese Sicht damals von Hannah Arendt eigentlich Ihre Ermittlungsarbeit in irgendeiner Weise gestört?
Bach: Ich muss sagen, das war etwas sehr Eigenartiges. Ich wusste nichts von Hannah Arendt, bevor sie kam. Sie ist gekommen einige Tage vor dem Prozess, und da sagte man mir: Es ist eine Philosophin gekommen aus Amerika, Hannah Arendt, die will was schreiben gegen den Prozess – bevor er begann. Das war mir etwas eigenartig, und da habe ich ihr mitteilen lassen, dass ich bereit bin, mich mit ihr zu treffen und dass wir das besprechen können, was sie für Probleme hat. Nach zwei Tagen bekam ich die Antwort: Sie ist nicht bereit, mit irgendjemand von der Staatsanwaltschaft zu sprechen. Hat mich auch wieder verwundert – ich meine, sie muss ja nicht akzeptieren, was wir sagen, aber dass sie nicht bereit war, mit irgendjemand von der Staatsanwaltschaft zu sprechen, war eigenartig. Und dann habe ich trotzdem Instruktionen gegeben – nicht nur, dass sie jeden Tag dabei sein darf, sondern auch, dass sie Einsicht haben kann in alle Dokumente, sowohl von der Verteidigung wie von der Anklage, sodass sie sich ein Bild machen kann über irgendwelche Probleme, die sie hat.
Und dann hat sie dieses Buch geschrieben. Und es gibt ja ein Buch von einem Herrn Robinson, der wirklich das alles analysiert hat, dass sie nicht nur eigenartige Ideen geäußert hat, sondern wirklich viele von den Dokumenten, die sie zitiert hat, die Hauptdokumente, die wir eingereicht haben, um zu zeigen, dass das nicht ein kleiner Befehlsempfänger war, sondern absolut sich identisch gefühlt hatte mit der Ausführung von diesen Vergehen, hat sie völlig falsch wiedergegeben. Da kann man natürlich sehr viel drüber sprechen, aber deswegen, was sie da schreibt … Unter anderem schrieb sie zum Beispiel, dass wir den Eichmann zu schwarz hingestellt hätten, das hätte vermindert die Schuld von Hitler und Himmler. Das schreibt sie in diesem Buch. Natürlich auch lächerlich. Natürlich, Hitler und Himmler waren Schuldige, das waren die, die die ganze Idee verfasst hatten, Eichmann war verantwortlich für die Ausführung. Aber die Tatsache, dass man wusste, dass er so fanatisch ist und dass man ihn deswegen gelassen hat, als Referent, während all dieser Zeit und in der Judenabteilung, das vermindert doch nicht die Schuld von denen, die die Hauptentscheidungen damals gefällt haben.
All diese Sachen sind wirklich sehr, sehr eigenartig und kann man schwer akzeptieren. Ich kann Ihnen nur sagen, was Eichmann anbetrifft, wissen Sie, wir haben auch gesehen, zum Ende des Krieges haben seine Kollegen ausgesagt, dass er gesagt hätte, ich weiß, der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg noch gewinnen. Und dann fuhr er nach Auschwitz, um die Tötungen von 10.000 pro Tag auf 12.000 pro Tag hereinzubringen. Wir haben bewiesen, dass er selbst Hitler-Befehle hintergangen hat, wenn er glaubte, es könnte zur Rettung von einigen Tausend Juden führen. Das ist wirklich absolut nicht richtig zu sagen, dass er wirklich nur Befehle auf banale Weise irgendwie ausgeführt hat. Das haben wir wirklich zeigen können in diesem Prozess.
Bürger: Der Bach, die israelische Öffentlichkeit, die war ja zuerst strikt gegen den Prozess in Israel. Man wollte den Holocaust verdrängen, Sie haben die Schwierigkeiten auch beschrieben. Inwiefern hat der Prozess dann aber doch die israelische Gesellschaft verändert, weitergebracht?
Bach: Da muss ich das auch etwas korrigieren: Ich kann nicht sagen, dass das Publikum dagegen war, da waren folgende Sachen: Ich hörte zum Beispiel von Lehrern und Schulleitern, dass viele unserer Jugend, die wollten vorher nicht hören, von dem Holocaust – warum? Ein junger Israeli kann verstehen, dass man in einem Kampf verletzt werden kann, dass man getötet werden kann, dass er eine Schlappe erleiden kann, das kann ein junger Israeli verstehen. Er kann aber nicht verstehen, dass Hunderttausende und Millionen von Menschen sich abschlachten lassen, ohne Widerstand zu leisten und einen Aufstand zu machen. Und deswegen wollten sie davon nichts hören.
Also das war nicht die Hauptaufgabe der Staatsanwaltschaft, aber wir wollten auch hier unserer Jugend zeigen, dass hier kein Grund zur Scham war. Und da haben wir gezeigt die fast wissenschaftliche Art, in der Eichmann und die anderen Leute von der SS dafür gesorgt hatten, die Opfer irrezuführen, ganz egal, ob das Juden waren oder Zigeuner oder russische Kommissare, die wurden alle irregeführt. Und da hatten wir viele Beweise darüber, wie er das gemacht hat, wo die Leute gezwungen wurden, Postkarten zu schreiben, bevor sie in die Gaskammern kamen, an ihre Freunde, um zu sagen, wir sind in einem herrlichen Kurort hier und hab ein wenig Platz, kommt so rasch wie möglich – also viele Wege hat er gefunden.
Und dann haben wir gezeigt, wie dann im Warschauer Ghetto, als da Hunderttausende Juden wussten, der Tod erwartet sie, da haben sie auf einmal einen Aufstand gemacht, mit ungeheurem Mut und Tapferkeit. Und da kam dann die Entwicklung, nach dem Prozess, die Jugend wollte dann die Todeslager besuchen in Polen, sie wollten Literatur hören von den Juden Europas, und die Geschichte hat sie interessiert. Also das war eine ungeheure Entwicklung. Und ich möchte Ihnen sagen, ich werde auch nie vergessen den ersten Moment dieses Prozesses, wo diese Richter in den Saal kamen, mit dem israelischen Wappen hinter sich, und wie dieser Mann, dessen einziges Bestreben in seinem Leben geworden war, dieses Volk zu vernichten, wie der aufstand und Haltung annahm vor einem souveränen israelischen Gericht, vor einem souveränen jüdischen Staat – also die Bedeutung der Errichtung des Staates Israel wurde mir in dem Moment klarer als in irgendeinem Moment, mehr als bei jeder Parade oder Demonstration oder jedem Artikel in einer Zeitung et cetera. Und ich glaube, das war ein Gefühl, was wirklich auch in ganz, ganz Israel damals sehr gespürt wurde.
Bürger: Herr Bach, ich danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie bei uns waren!
Bach: Nichts zu danken, danke Ihnen für die Einladung!
Gabriel Bach am 15.12. bei Deutschlandradio Kultur.
Die Reisegruppe der DIG Berlin und Potsdam hat Gabriel Bach im Juni 2011 in Jerusalem getroffen.