Nachruf zum Tode des israelisch-österreichischen Journalisten Ari Rath

geb. 06.01.1925 in Wien, gest. 13.01.2017 daselbst
von Eckhard-Rainer Kendler
© Meggie Jahn: Ari Rath (rechts) im Streitgespräch mit Gad Lior, Jerusalem, am 1.Juni 2010 vor der Reisegruppe der DIG Berlin-Brandenburg

Wer Ari Rath zu Lebzeiten in einer Diskussion zuhören durfte, versteht auf Anhieb, weshalb er seiner Autobiografie den Titel „Ari heißt Löwe“ gab, denn er konnte mit Löwenmut streiten. Die DIG-Reisegesellschaft konnte sich davon in Jerusalem überzeugen, als Ari Rath mit seinem Freund und Journalistenkollegen Gad Lior über den Stand der Friedensbemühungen zwischen Israel und den Palästinensern diskutierte. Tags zuvor hatte die israelische Marine mit Waffengewalt ein Schiff daran gehindert, die Blockade zu Gaza zu durchbrechen. Dabei gab es auf beiden Seiten Tote und Verletzte. Die Einlieferung der zum Teil schwerverletzten Soldaten und Blockadebrecher per Hubschrauber in das Hadassah-Krankenhaus beobachteten meine Reisegefährten mit mir live bei der Besichtigung desselben. Hier ein Auszug aus meinem Reisetagebuch von 2010:

„Und der lange Tag nimmt kein Ende! Nach dem Abendessen hören wir zwei prominenten Journalisten aus Jerusalem in ihrer völlig konträren, dennoch in tiefer Freundschaft ertragenen und ebenso heftig kritisierten politischen Einschätzung der aktuellen Lage nach dem Gaza-Flotillen-Debakel zu. Mittlerweile waren neun Tote und viele Verletzten bestätigt worden. Eine weltweite Verurteilung der Vorgehensweise der israelischen Streitkräfte war bereits in vollem Gange.

Gad Lior und Ari Rath streiten sich um die Interpretation, Bewertung sowie die daraus herzuleitenden Handlungskonsequenzen dessen, was im Mittelmeer geschah. Gad Lior verteidigt die Aufbringung mit allen Konsequenzen und sieht Israel auch völkerrechtlich zum Eingreifen in internationalen Gewässern legitimiert. Ari Rath hält ihm entgegen, dass es darauf gar nicht ankomme, weil die Isolierung Israels außenpolitisch gewachsen und das Land sicherheitspolitisch gefährdeter sei als vor dem K(?)risenkommando. Mit unüberhörbarer Ironie bezeichnet er die Tatsache, dass Israel seine beiden wichtigsten Verbündeten –Deutschland und die USA –verprellt habe, als große Errungenschaft. Einig sind beide in ihrer Einschätzung, das Militär habe versagt und vor ihm das Innenkabinett, dem 7 Minister angehören. Ari Rath fordert, den Friedensprozeß wieder in Gang zu setzen. “Es müssen wahre, offene und beschleunigte Friedensverhandlungen geführt werden. Ein Landtausch 1 : 1 ist dafür die Grundlage, damit kann Jerusalem (als was?)erhalten bleiben, auch was die Sicherheitsfrage betrifft. In der Politik wie im Leben reicht es nicht, nur gerecht zu sein, man muss auch klug, weise und konstruktiv sein!“ Ari Rath vertritt nachdrücklich die Zwei-Staaten-Theorie und stellt fest: „Beide Seiten müssen von ihren politischen Träumen Abschied nehmen“. Auch hier sind sich beide im Grunde einig.

Gad Lior war früher Europakorrespondent der größten israelischen Tageszeitung Jedioth Achronoth mit Sitz in Bonn und leitet jetzt seit Jahren das Büro der Zeitung in Jerusalem. Seine Schwerpunkte sind Wirtschaft und Politik. Er gehört zu den Mitbegründern des Israelisch-Deutschen Jugendforums 1984, seit damals besteht auch eine enge Freundschaft zu Meggie Jahn, ohne die er sich kaum vom Büro losgerissen hätte, wie er gleich zu Beginn betont. Bis heute besucht Gad Lior immer wieder gerne Deutschland.

Ari Rath, 1925 in Wien geboren, trat nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938der zionistischen Jugendbewegung Makkabi Hazairbei und konnte im November mit einem Kindertransport vom Wiener Südbahnhof ins damalige Palästina entkommen. Er wurde Mitbegründer einer Kibbutzsiedlung und engagierte sich in der Sozialistischen Jugendbewegung. Später gehörte er zum engeren Kreis um Israels ersten Ministerpräsidenten David Ben-Gurion und erlebte die historische Annäherung zwischen Konrad Adenauer und David Ben-Gurion hautnah mit. Rath gehört zu den Persönlichkeiten, die Israels Geschichte mit geprägt haben. Eigentlich Volkswirt und Zeitgeschichtler, widmete er sich schließlich ganz dem Journalismus, war 31 Jahre in führender Funktion bei der Jerusalem Postund wurde damit zum Vorbild für eine Reihe israelischer Journalisten.

Im Jahr 2005 verlieh Bundespräsident Horst Köhler Ari Rath anlässlich seines 80. Geburtstages das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für seine Verdienste um die deutsch-israelische Verständigung.

Schon immer ist eine freie, unabhängige und streitbare Presse mit ihren Journalisten „schlechthin konstituierend für eine Demokratie“, wie einst das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem Grundsatzurteil formulierte und die Presse damit zur vierten Macht im Spiel der Gewaltenteilung taufte (?). Welch ein lebender Beweis diese beiden Streithähne mit all ihrer Leidenschaft und Formulierungskunst!“

Laura und der Papiergroßhändler Josef Rath gaben ihrem zweiten Sohn den Namen Arnold und ihre polnische Staatsbürgerschaft, als er am 6.Januar 1925 in der Josefstadt in Wien zur Welt kam. Später zogen sie in den Wiener Stadtteil  Alsergrund. Die Mutter litt an Morbus Basedow und nahm sich 1921 das Leben.

1931 wurde Ari Rath österreichischer Staatsbürger, bekam gleichwohl früh die Auswirkungen antisemitischer Tendenzen zu spüren, als er gemäß dem Erlass des damaligen Unterrichtsministers Schuschnigg am Wasagymnasium einer „Judenklasse“ zugewiesen wurde, also noch vor dem Anschluss.1937 feierte Ari Rath seine Bar Mitzwa im Müllnertempel. Im April 1938 wurde ausgerechnet in seiner bisherigen Schule die Parteizentrale der NSDAP eingerichtet.

Ari Rath wurde Mitglied der zionistischen Jugendorganisation „Makkabi Hazair“. Sein Ziel stand fest: er wollte nach Palästina!

Der SA-Sturmführer Boris Zeilinger wurde als Kommissar bei der väterlichen Papiergroßhandlung Fried&Rath eingesetzt und übernahm wenig später die gesamten Geschäfte. Josef Rath wurde im Mai verhaftet und in das KZ Dachau deportiert. Mitten in seinem Alijah-Vorbereitungsseminar für Palästina wurde Ari Rath am 31.Oktober 1938 zur Zwangsarbeit eingezogen. Er sollte in der „Hermann-Göring-Alteisensammlung“ in Lobau Zwangsarbeit leisten. Dem entzog er sich zusammen mit Freunden durch die Flucht. Zusammen mit seinem ein Jahr älteren Bruder Maxi schaffte er es nach Triest an Bord des italienischen Dampfschiffs MS „Galiläa“ mit Kurs nach Haifa, das er am 8.November 1938 erreicht. An seine Wiener Freunde schrieb er zum Abschied: „Aber trotz allem kann ich nicht ermessen, dass es jetzt ernst ist. Aber eines stärkt einen, dass man nach Eretz fährt und dass man für sein Volk etwas leisten kann.“ Mit seinem Bruder nimmt er sich vor, künftig nur noch Hebräisch zu sprechen!

Bis 1941 wird er im Ahawah-Jugendheim in Kirjat Bialik ausgebildet und landet nach mehreren Zwischenstationen im Kibbuz Hamadia. Er studiert Geschichte und 1946 wird er für zwei Jahre nach New York zur Anwerbung junger Juden für die Kibbuz-Bewegung geschickt. Bei seiner Ankunft sieht er seinen Vater wieder, zusammen mit seinem Bruder Maxi, seiner Halbschwester Henny und seiner Stiefmutter Rita. Sein Vater hatte Buchenwald mit schweren Gesundheitsschäden überlebt. Ari Rath: „Wir haben nie wieder deutsch miteinander gesprochen.“

In New York lernte er Golda Meir kennen und freundete sich mit Teddy Kollek an, der ihn für Waffen- und Munitionsbeschaffung einspannte. Auf dem Schiff „Russia“ half er, 40.000 Bazooka-Granaten für den Freiheitskampf nach Palästina zu verschiffen. Erste journalistische Erfolge gelangen ihm mit der Meldung, dass die Ostblockstaaten die Teilung Palästinas und die Gründung eines jüdischen Staates befürworteten, was ihn nicht darüber hinweg tröstete, die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel am 14. Mai 1948 nicht daheim erlebt zu haben. Dafür übernahm er Ende 1948 das Kommando über das Motorschiff „Caesarea“ in Marseille mit 900 Immigranten an Bord  und brachte sie sicher nach Israel.

Nach weiteren Zwischenstationen auf Kibbuz-Ebene, als Generalsekretär der Vereinigten Jugendbewegung und einem Studium der Volkswirtschaft und Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem begann er als diplomatischer Korrespondent 1958 bei der „Jerusalem Post“,  wurde 1960 Redakteur und 1961 Chef vom Dienst. Unvergessen sein Bericht über das erste Gespräch von Bundeskanzler Dr. Adenauer mit David Ben-Gurion, an dem er als einziger Journalist im Waldorf-Astoria-Hotel in New York dabei war: Journalist und Zeitzeuge!

Ausflüge in die praktische Politik waren ihm nicht fremd: Er beriet Ministerpräsident Levi Eschkol, wäre fast sein Regierungssprecher geworden, was Golda Meir jedoch verhinderte. Shimon Peres machte ihn zum Wahlkampfmanager von Ben-Gurion bei den Wahlen 1965, die in einer krachenden Niederlage mit gerade mal 10 Sitzen in der Knesset endeten.

1976 kämpfte Ari Rath als Freiwilliger im Sechstagekrieg im Range eines Oberfeldwebels eines Infanterieregiments der Jerusalemer Brigade. Im Mai 1973 führte er das letzte Interview mit Ben-Gurion und war  am 11.September 1973 Zeitzeuge beim Putsch gegen Salvador Allende in Santiago de Chile von seinem Hotel gegenüber der Moneda. Er hatte großes Glück, dass ihn ein Schrapnell eines MG nur lebensgefährlich verletzte, nicht aber tötete.

1975 erreichte er im Herbst den Zenit seiner journalistischen Karriere als Chefredakteur und Herausgeber der „Jerusalem Post“, die im Herbst 1989 ihren Eigentümer wechselte. Der neue Eigentümer, die kanadische Hollinger Inc., entliess Ari Rath, um das Erscheinungsbild und die Ausrichtung der Zeitung ändern zu können.

Was kam danach noch? Ari Rath engagierte sich für die englische Ausgabe von „Haaretz“, wirkte 1991 an den Vorbereitungen für die Osloer Friedensverhandlungen mit und beförderte den Trialog zwischen Palästinensern, Israelis und Deutschen, den die Konrad-Adenauer-Stiftung in Gang gesetzt hatte.

2005 nahm er zusätzlich zur israelischen auch wieder die österreichische Staatsangehörigkeit an. 2012 erschien seine Autobiographie “Ari heißt Löwe“, Paul Zsolnay Verlag, Wien. Darin schreibt er: „Mein Leben lang habe ich optimistisch in die Zukunft geblickt, und trotz aller Hindernisse schien mir die Zukunft des Staates Israel sicher. Heute bin ich pessimistischer denn je!“

„Einspruch, Euer Ehren!“ möchten wie Hinterbliebenen Ari Rath an seinem Grab im Kibbuz Givat HaShlosha nachrufen, denn er hat uns Nachlebenden zu seinen Lebzeiten tausende Gründe hinterlassen, auch in dunklen Zeiten an das Licht am Ende des Tunnels zu glauben.

Ruhe in Frieden, Ari Rath!

Berlin-Grunewald am 1. Februar 2017

Eckhard-Rainer Kendler
www.e-kendler.de

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