Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft kritisiert Uneinigkeit der Europäer
Moderation: André Hatting
Der SPD-Politiker Reinhold Robbe warnt vor einer baldigen Anerkennung eines Palästinenserstaates durch die UN-Vollversammlung. Und er kritisiert, dass sich die EU-Außenminister nicht auf eine gemeinsame Linie in der Nahost-Politik einigen können.
André Hatting: Heute endet das informelle Treffen der EU-Außenminister im polnischen Sopot, und eines der großen Streitthemen war: Wie soll Europa mit dem zukünftigen Palästinenserstaat umgehen? Präsident Mahmud Abbas will ja in drei Wochen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Aufnahme des Staates beantragen. Deutschland, Dänemark, die Niederlande und Tschechien lehnen das ab, Frankreich, Spanien und andere sind aber dafür. Am Telefon ist jetzt Reinhold Robbe, er ist Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft. Guten Morgen, Herr Robbe!
Reinhold Robbe: Ja, guten Morgen, ich grüße Sie!
Hatting: Deutschland möchte verhindern, dass ein zukünftiger Palästinenserstaat Mitglied der Vereinten Nationen wird. Finden Sie das richtig?
Robbe: Nun, wenn Sie die Frage so stellen, dann könnte ein Außenstehender, der über die Hintergründe nicht informiert ist, zunächst mit einem ganz klaren und eindeutigen Nein antworten. Allerdings sind die Verhältnisse – und zwar nicht erst seit heute, sondern wie Sie wissen seit Jahrzehnten in Nahost – nicht so klar und nicht so eindeutig, und deswegen kann man hier nicht mit einem klaren Nein antworten, sondern zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre es alles andere als klug, einen Staat anzuerkennen, dem sämtliche Voraussetzungen fehlen, um tatsächlich Staat genannt werden zu dürfen.
Sie wissen, dass Palästina nicht aus einem Gebiet, nicht aus einem Gebilde besteht, sondern aus der West Bank und aus Gaza, und dass diese beiden Gebiete höchst unterschiedlich sind. Wenn wir auf der einen Seite auf der West Bank schon die Voraussetzungen haben, dass man von den Komponenten eines Staates sprechen kann, so ist es in Gaza eine ganz andere Situation. Hinzu kommt, dass beide Regierungen, in Anführungsstrichen, sowohl in Ramallah, also auf der West Bank, wie auch in Gaza-Stadt, überhaupt nicht miteinander können, um es einmal ganz deutlich zu sagen. Es sind gegensätzliche politische Richtungen, auf der einen Seite haben wir es mit der Fatah, auf der anderen Seite mit der Hamas zu tun, die sich feindlich gegenüberstehen, muss man sagen. Und in dieser Situation, wissen Sie, besteht die Absicht, zumindest von wesentlichen Kräften der Palästinenser, bei der UNO-Hauptversammlung eine Vollmitgliedschaft zu beantragen, und wenn in dieser Situation Deutschland sagt, wir werden dazu nicht bereit sein, dann kann man das glaube ich nachvollziehen.
Hatting: Herr Robbe, bedeutet das, dass erst die Hamas im Gazastreifen weg muss, und dann kann man weiterreden?
Robbe: Diese Frage stellt sich so glaube ich nicht, weil im Moment niemand beurteilen kann, ob die Hamas bei einer wirklich als demokratisch genannten Wahl als Sieger hervorgeht. Bei der letzten Wahl war es so, dass die Fatah in vielen Bereichen, in vielen Wahlkreisen keine Kandidaten hatte. Nur so war es dann möglich geworden, dass die Hamas überhaupt ans Ruder kam. Wie es bei einer künftigen Wahl – die im Übrigen noch überhaupt nicht geplant ist und von der man auch nicht weiß, wann sie stattfindet -, wie es bei einer künftigen Wahl aussieht, kann ich nicht beurteilen. Hier kann es durchaus sein, dass auch die Fatah, also die Gemäßigten sich durchsetzen, dann sähe die ganze Situation natürlich anders aus.
Eine ganz andere Geschichte ist natürlich, dass die beiden direkt Beteiligten, das heißt die palästinensischen Autonomiegebiete und Israel, miteinander verhandeln müssen über die künftige Struktur der beiden Staaten. Dass es zwei Staaten geben muss in der Zukunft, dass nur durch zwei gleichberechtigte Staaten auch ein Friede im Nahen Osten möglich ist, darüber gibt es im Übrigen überhaupt keinen Zweifel. Auch die Israelis sagen, dass sie einen Palästinenserstaat anerkennen werden, aber sie wollen dafür Sicherheit, und das muss man verstehen.
Hatting: Ja, und Herr Robbe, es gibt im Augenblick eben keine Verhandlungen zwischen den Palästinensern und den Israelis, und Frankreich und Großbritannien, die eine Anerkennung des Staates Palästina in Erwägung ziehen, möchten genau das als Druckmittel in Erwägung ziehen, damit Israel seine Siedlungspolitik verändert und dann ins Gespräch wieder kommt mit den Palästinensern.
Robbe: Die Geschichte zeigt uns leider, dass diese Absicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein wird, weil man mit Druck in der Geschichte noch niemals etwas erreicht hat, zumindest nicht in dieser Situation. Und insofern warne ich davor, dass man glaubt, hier mit irgendwelchen Druckinstrumenten von außen etwas verändern zu können. Da wird nichts herauskommen. Und deswegen bedaure ich es auch sehr, um es ganz deutlich zu sagen, dass es gestern bei den Verhandlungen der Außenminister nicht möglich gewesen ist, eine einheitliche europäische Linie in dieser Frage, in dieser wichtigen, auch weltpolitisch wichtigen Frage hinzukriegen.
Ich bedaure es sehr, dass neben der Eurokrise jetzt auch dieses Thema auf dem Tapet steht mit Blick auf ein einheitliches Agieren, ein wichtiges, einheitliches Agieren der europäischen Mitgliedsstaaten: Wir sind darauf angewiesen, dass wir langfristig im Nahen Osten Frieden bekommen. Den Frieden wird es nur geben, wenn die USA, wenn Europa, wenn Russland, wenn China hier zusammenfinden und auch zu einer einheitlichen Position finden. Und wir wollen gar nicht so weit greifen und auf die Weltbühne schauen, es ist erst einmal erforderlich, dass wir uns in Europa über eine einheitliche Linie verständigen, und deswegen bedaure ich es außerordentlich, dass gestern diese große Chance vertan wurde.
Hatting: Europa ringt weiter um eine Haltung gegenüber einem zukünftigen Staat Palästina. Ich sprach mit Reinhold Robbe, er ist Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Robbe!
Robbe: Sehr gerne, alles Gute!
Das Interview finden Sie auf der Seite von Deutschlandradio Kultur vom 3. September 2011.