Von: Thomas Schmoll
Düzen Tekkal, Deutsche mit kurdischen Wurzeln, fordert Härte gegenüber dem religiösen Extremismus. Sie ist eine Stimme, die auf Beschwichtigungsformeln verzichtet und trotzdem nicht nach AfD klingt.
Düzen Tekkal bezeichnet Berlin als „das Herz der Demokratie“ Deutschlands. Am Donnerstagabend weilt sie in einem der Organe, dessen Auftrag es ist, dieses Herz mit am Leben zu halten.
Tekkal – eingeladen von der CDU und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft – spricht in einem Saal im dritten Stock des Landesparlamentes. Beinahe zwei Stunden lang legt die 38-Jährige dar, wie die Demokratie vor dem allmählichen oder plötzlichen Herzstillstand bewahrt werden kann. Denn der droht ihrer Meinung nach, wenn der Zustand der Bundesrepublik nicht endlich ehrlich diagnostiziert wird.
„Hier wird deutsches Recht gesprochen“
Sie selbst tritt als engagierte und zugleich streitbare Blutspenderin auf. Tatsächlich merkt man nach wenigen Minuten ihres Vortrages: Demokratie versteht Düzen Tekkal als Herzenssache.
Die studierte Politologin berichtet, wie ihr Vater, ein Sozialdemokrat, sie als Vierjährige mit in den niedersächsischen Landtag genommen hat, um ihr zu zeigen, wie das Land funktioniert, in das er mit seiner Frau vor langer, langer Zeit geflohen war: „Schau mal, Kleines, hier wird deutsches Recht gesprochen, werden Gesetze verabschiedet. Hier sind wir in Sicherheit.“
Noch heute ist die Jesidin ihrem Vater dankbar dafür, ihr den Weg in die Mitte der Gesellschaft gewiesen zu haben. Aus dieser Erfahrung heraus leitet sie ab, was Deutschland ihrer Ansicht nach dringend braucht: Vermittlung demokratischer Werte und Anliegen schon im Kindesalter statt religiösen Eifer und Erziehung nach (angeblich) göttlichen Geboten. Dabei meint Tekkal nicht allein Schulen, sondern vor allem Eltern.
Wie sehr recht sie an der Stelle hat, wird klar, als sich ein Zuhörer in eher salopper Kleidung zu Wort meldet. Er stellt sich als Lehrer einer Schule in Mitte vor, einem Stadtteil, in dem die Berliner Welt noch in Ordnung sein sollte.
Wenn „Allahu Akbar“ auf dem Schulhof gerufen wird
Der junge Mann berichtet von muslimischen Eltern, die die von Tekkal gepriesenen „Werte unserer Gesellschaft“ ablehnten, von Vätern, die Kolleginnen nicht die Hand gäben, weil sie grundsätzlich Frauen den Handschlag verweigerten, und von Jungen, die auf dem Schulhof provozierend „Allahu Akbar“ brüllten, ein Ruf, den hierzulande inzwischen viele Menschen mit Bombenterror in Verbindung bringen. Solche Missstände immer noch zu verschweigen oder zu relativieren, sei falsch, sagte die in Hannover geborene Tekkal.
Das Staatsverständnis sei „abhängig von der religiös-kulturellen Früherziehung. Ich kann nur das lernen, was mir beigebracht worden ist“, betont sie. Viel zu oft werde Erziehung „den Islamverbänden“ überlassen. „Und dann wundern wir uns am Ende über das Ergebnis. Da findet Indoktrinierung im Gewand von Integration statt. Es wird das gesät, was Salafisten später ganz einfach ernten können.“ Tekkal verlangte: „Wir müssen rein in diese Familien“ und etwaige Fehlentwicklungen zur Not finanziell sanktionieren.
Hartz-IV-Entzug, weil der Sohnemann die Lehrerin wie Abschaum behandelt oder „Gott ist groß“ in den Himmel über Deutschland ruft? Klingt nicht unbedingt nach einem rasch umsetzbaren Vorschlag, so er denn überhaupt politische Mehrheiten fände und rechtlich umsetzbar wäre. Auch wer konkret „wir“ sein soll, bleibt unbestimmt.
Viele Defizite werden auf Merkels Politik zurückgeführt
Und trotzdem: Tekkal mit der Populismuskeule zu beackern, wäre kontraproduktiv. Es hat nämlich besonderen Reiz, dass eine deutsche Staatsbürgerin kurdischer Abstammung, eine perfekt integrierte Tochter ebenso perfekt integrierter türkischer Einwanderer, Dinge aus- und anspricht, die in der CDU noch vor kurzer Zeit eine No-go-Area waren.
Denn auch wenn Tekkal, die 2016 den Christdemokraten beitrat, Angela Merkel während der knapp zwei Stunden kein einziges Mal direkt attackiert und betont, dass sie stolz auf ihre Parteivorsitzende sei, da diese in der Flüchtlingskrise zutiefst menschlich gehandelt habe, dürfte jedem im Saal klar sein: All die von Tekkal ausgemachten Versäumnisse und Defizite haben auch mit der Kanzlerin zu tun. War es doch Merkel, die sich wie die gesamte Union jahrelang davor drückte, die Bundesrepublik als Einwanderungsland zu bezeichnen, um dann von jetzt auf gleich eine Million Menschen unkontrolliert einwandern zu lassen.
Die Stärke der AfD – „unser Versagen“
Wenn Tekkal etwa meint, dass „wir da in gewissen Bereichen überfordert waren und dadurch auch den inneren Frieden mit gefährdet haben“, richtet sich das auch gegen Merkel. Berichtet die frühere RTL-Reporterin, dass ihr noch vor eineinhalb Jahren die Warnung, „dass sich vereinzelt IS-Kämpfer“ unter die Flüchtlinge mischen könnten, „um die Ohren geflogen ist“, meint sie auch die Kanzlerin. Klagt Tekkal, dass die Stärke der AfD „unsere Schwäche und unser Versagen“ sei, prangert sie auch die CDU-Vorsitzende an.
Tekkal ist für Klartext, sie will über alle Folgeerscheinungen von Einwanderung und Integration reden, wie sie es für richtig hält. „Wir müssen den Finger in die Wunde legen und nicht daneben.“ Und da kommen dann schon mal Sätze heraus wie: „Kriminelle müssen wie Kriminelle behandelt werden.“ Oder auch: „Flüchtling sein, ist kein Beruf.“ Es ist eine Stimme, die auf Beschwichtigungsformeln verzichtet und trotzdem nicht nach AfD klingt. Nach einer wie ihr hat sich die CDU-Basis monatelang gesehnt, wie spätestens seit Merkels Wiederwahl als Parteichefin vergangenen Dezember mit „nur“ 89,5 Prozent klar ist.
Das Raunen von einem „Maulkorb“
Im Publikum hinterlässt Tekkal den Eindruck eines kritischen Geistes. „Wir müssen denjenigen, die uns Angst machen wollen, wieder Angst machen“, sagt sie. „Im Zeitalter des Postfaktischen müssen wir unsere Werte jeden Tag aufs Neue verteidigen“, hält die 38-Jährige den Twitter-Orgien des Donald Trump und den nationalistischen Tönen des Björn Höcke entgegen. „Höcke ist ein Sprachrohr der ewig Gestrigen. Er vertritt einen hohlen Patriotismus, dem wir unseren Verfassungspatriotismus entgegenstellen müssen.“
Den Begriff der „ewig Gestrigen“ wendet die Niedersächsin auch in Bezug auf das andere Ende des politischen Spektrums an. „Warum können wir nicht mit ewig gestrigen Linksliberalen darüber sprechen, dass es eine kognitive Dissonanz ist, wenn der Schwule verkloppt wird vom Zuwanderer?“ Die Frage ist als Feststellung gemeint. Schließlich müssten auch Homosexuelle geschützt werden. Politiker hätten zu lange den Fehler gemacht, „bestimmte Dinge“ nicht zu thematisieren, „weil wir uns Maulkörbe auferlegt haben“. Wieder dieses merkwürdige „wir“. Ein Volksmaulkorb? Falls es das gab oder gibt: Wer hat ihn den Bürgern über die Schnauze gestülpt?
Ihre Haltung grenzt ans Missionarische
Den Linken und den Grünen kognitive Dissonanzen – also unangenehme Gefühle, die durch ein Aufeinanderprallen von im Grunde nicht in Einklang zu bringenden Meinungen und Wünschen entstehen – vorzuhalten, ist ein Steckenpferd der 38-Jährigen. Grünen-Chefin Simone Peter bekam das erst vergangenen Sonntag bei „Anne Will“ zu spüren, als Tekkal die Flüchtlingspolitik der Bundestagspartei als ein „bisschen bigott“ bewertete und sich ärgerte, dass Peter sich weigere, zwischen „einem Fake-Refugee und einem echten Flüchtling“ zu unterscheiden.
Tekkals Haltung grenzt ans Missionarische. „Bei der Verteidigung von Werten brauchen wir alle Menschen“, sagt sie. Damit meint sie ausdrücklich auch die Leute in Clausnitz, die im Namen des Volkes einen mit Flüchtlingen besetzten Bus gestoppt haben. Denn die seien ebenfalls „nicht integriert“ und müssten wieder erreicht werden.
„Auch Gefühle sind Fakten“, glaubt Tekkal. Als Rezept empfiehlt sie Politikern weniger Kauderwelsch und Fachsprech, das niemand verstehe – und natürlich, „mit den Menschen da draußen ins Gespräch zu kommen“. Dies setzt allerdings voraus, dass die „Menschen da draußen“ erreichbar sind, zuhören und diskutieren wollen. Wer einmal in Sachsen eine öffentliche Diskussion über Pläne, ein Asylbewerberheim zu eröffnen, besucht hat, wird wissen, wie schwer das ist.
Die „bösen Zwillinge“ Populismus und Extremismus
„Für Demokratie zu werben, ist gefährlich geworden“, stellt Tekkal fest. Sie selbst nimmt das Risiko nur noch begrenzt in Kauf. „Ich bin, weiß Gott, kein ängstliches Mädchen“, erklärt Tekkal. Die Fernsehjournalistin, die einen viel beachteten Dokumentarfilm über die IS-Verbrechen an den Jesiden gedreht hat, kennt Einschüchterungsversuche aus eigener Erfahrung. „Wenn wir schon so weit kommen, dass unsere Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt wird, dass ich überlegen muss, was ich tun kann und was nicht, wenn die eigene Familie mit reingezogen wird – dann sind wir bedroht.“
Nach Tekkals Ansicht sind es zwei Erscheinungen – sie spricht von „den bösen Zwillingen“ –, die die deutsche Demokratie gefährden: Den einen nennt sie Rechtspopulismus, den anderen „religiös-kulturellen, traditionellen Extremismus“. Sie klagt: „Beide sind lauter als wir. Und was machen wir? Wir lehnen uns zurück in unserer Komfortzone.“ Das müsse ein Ende haben. „Das Problem an den bösen Zwillingen ist, dass wir sie genährt haben und dass wir ihnen zu viel Macht gegeben haben, weil wir ihnen die vermeintliche Wahrheit überlassen haben.“ Ende. Beifall.
Quelle: http://hd.welt.de/Panorama-edition/article161362984/Klartext-ueber-die-Folgen-der-Einwanderung.html