Herr Botschafter, befürchten Sie, dass den Deutschen das Bewusstsein für das besondere Verhältnis zu Israel verloren geht?
Natürlich verändert sich das Verhältnis beider Länder, je länger der Zweite Weltkrieg und der Holocaust vorbei sind. Ich sehe es als meine Aufgabe, vor allem den Austausch zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen zu vertiefen. Die junge Generation in Deutschland und Israel teilt viele Werte. Trotzdem kann ihr Verhältnis nie so sein wie das zwischen jungen Israelis und Jugendlichen in anderen Ländern. Denn wir teilen auch die gemeinsame Geschichte. Ob wir es wollen oder nicht: Wir sind für immer verbunden. Deshalb sollte auch die junge Generation die Geschichte kennen.
Günter Grass hat ein Gedicht geschrieben, in dem er Israel vorwirft, den Weltfrieden zu bedrohen. Ist das antisemitisch?
Das kann ich nicht beurteilen. Fest steht: Grass verdreht die Tatsachen. Israel bedroht das iranische Volk nicht, Israel bedroht niemanden. Aber der Iran bedroht uns. Ich warne davor, Präsident Achmadinedschad als Maulhelden zu bezeichnen. Die Welt hat schon einmal einen Politiker erlebt, der lange nur als Maulheld galt. Das war vor rund 80 Jahren hier in Berlin. Wir Israelis nehmen deshalb Maulhelden sehr ernst, die Drohungen gegen uns aussprechen. Dafür sollten gerade die Deutschen Verständnis haben.
Stellt Grass in dem Gedicht nur sachlich falsche Behauptungen auf?
Das Gedicht zeigt mehr als nur eine anti-israelische Haltung. Sehen Sie sich die Sprache an, die Grass benutzt. Früher hat man die Juden für die Gefährdung des Weltfriedens verantwortlich gemacht, nun macht Grass den Staat Israel dafür verantwortlich. Grass mag eine moralische Instanz sein. Aber als junger Mann war er in der SS. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
Warum versuchen Sie nicht, Grass zu treffen und ihm die Tatsachen zu erklären?
Meine drei Vorgänger als Botschafter, nämlich Avi Primor, Shimon Stein und Yoram Ben-Zeev, haben sich um ein Gespräch mit Grass bemüht. Alle drei haben das versucht. Sie hatten keinen Erfolg. Ich werde keinen neuen Versuch starten.
Gehen die deutschen Intellektuellen zu milde mit Grass um?
Ich bin kein Richter. Aber jeder Deutsche sollte Verständnis haben und vorsichtig sein, wenn Israel sich in seiner Existenz bedroht fühlt. Die deutschen Medien haben verstanden, dass Israel sich gegen die Drohungen aus dem Iran verteidigen will. Das iranische Atomprogramm wird gestoppt werden. Wir hoffen, das mit den derzeitigen Sanktionen erreichen zu können – andere Optionen sollten aber nicht ausgeschlossen werden.
Grass ist Ehrenpräsident des deutschen Pen-Zentrums. Halten Sie das für richtig?
Ich möchte die Diskussion innerhalb des deutschen Pen-Zentrums über den Umgang mit Günter Grass nicht kommentieren. Aber ich erwarte von einer solchen literarischen Vereinigung – und auch von anderen kulturellen Institutionen – ein gewisses Maß an intellektueller Redlichkeit. Wer behauptet, Israel dürfe nicht kritisiert werden, hat Unrecht. Doch es geht nicht nur um den Punkt der Kritik an Israel. Auch sonst muss man kein Nobelpreisträger sein, um zu begreifen, dass das von Günter Grass Gesagte nichts mit der Realität zu tun hat.
Ist die Vergrößerung der Regierung ein Signal, dass sie nun mit breiterer Unterstützung einen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen beschließen kann?
Deuten Sie nicht zu viel in diese Entscheidung hinein. Die Hauptursache für die Verbreiterung der Koalition liegt in der israelischen Innenpolitik.
Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff und Hans Monath.
Yakov Hadas-Handelsman (54) ist seit März israelischer Botschafter in Berlin. Zuvor war er Botschafter bei der EU und der Nato in Brüssel. Der Diplomat spricht fünf Sprachen, darunter Deutsch.
Das Interview finden Sie in den Neuesten Potsdamer Nachrichten vom 12.05.2012.