Am 6. Dezember diskutierten Experten an der Jüdischen Volkshochschule Berlin in Kooperation mit Scholars for Peace in the Middle East (SPME) und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Berlin und Potsdam über das Israelbild in deutschen Schulbüchern und Jugendzeitschriften.
von Nikoline Hansen
Das einleitende Referat von Dr. Dirk Sadowski, Koordinator der Arbeit der deutsch-israelischen Schulbuchkommission am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig, stand noch unter dem Eindruck der Ergebnisse einer Konferenz, die sich am 3. und 4. Dezember im Auswärtigen Amt in Berlin ebenfalls mit dem Bild des jeweils anderen Landes in den jeweiligen Schulbüchern befasst hatte: „Differenz übersetzen. Über die (Miss)Verständlichkeit von Konzepten im deutsch-israelischen Diskurs“ war der Leitgedanke und die Ergebnisse, die von den jeweiligen Koordinatoren präsentiert wurden, zeigten vor allem eines: die Präsentation ist zugleich politisches Statement.
Während das Deutschlandbild in den israelischen Büchern abgesehen von der Periode des Nationalsozialismus positiv gezeichnet und Deutschland als pluralistischer, demokratischer Staat dargestellt wird, ist in Deutschland das Thema Israel eng mit dem „Nahostkonflikt“ verknüpft: Es bleibe immer viel auf der Strecke, es fehle durchgehend ein Hinweis auf Israel als Demokratie nach westlichem Zuschnitt und die Kürze, mit der das Thema in Schulbüchern behandelt werde, führe automatisch zur Verzerrung, auch wenn die Statements formal richtig seien, wie etwa „Die Gründung des Staates Israel 1948 löste den ersten Nahostkonflikt aus“. Vorgeschichte und Komplexität des Themas, die viele auch verschreckt, seien verloren gegangen. So würde die Rolle der arabischen Staaten einfach weggelassen. Nicht nur das, auch die Bilder seien oft gegen Israel gerichtet: ein häufig wiederkehrendes Bild seien etwa die Sperranlagen, das in seiner Ikonographie an die Berliner Mauer erinnere, wodurch das Israelbild in ein Narrativ des Kalten Krieges eingebettet werde.
Es gehe, so Sadowski, eher um Grautöne: 90 Prozent der Bücher böten eine „korrekte Darstellung“ und es würde auch auf die Sicherheitsrelevanz der Siedlungen eingegangen sowie festgestellt, dass die Existenz Israels bedroht sei. Durchgängig fehlen allerdings: Israels Abzug aus dem Gaza und die aktuelle Bedrohung durch den Iran.
90 Prozent der Bücher bieten eine „korrekte Darstellung“
Die deutsch-israelische Schulbuchkommission am Georg-Eckert-Institut wurde 2010 wieder ins Leben gerufen. Bereits von 1981 bis 1985 hatte man sich dort mit dem Thema beschäftigt und Empfehlungen abgegeben, die 1992 noch einmal im Rahmen der Studien zur internationalen Schulbuchforschung des Georg-Eckert-Instituts veröffentlicht wurden. Damals ging es in erster Linie um die Darstellung jüdischer bzw. jüdisch-deutscher Geschichte in den Schulbüchern beider Länder. Bereits damals hatte man auf die Gefahr einer neuen Stereotypisierung verwiesen. Das Israelbild selbst habe sich in all den Jahren wenig geändert, so Sadowski. Der einzige Unterschied: Die Kibbuzim fehlen.
Um die große Menge an zugelassenen Schulbüchern in den einzelnen Bundesländern bewältigen zu können hat das Institut fünf Bundesländer exemplarisch ausgewählt: Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Insgesamt wurden 415 Bücher einer näheren Betrachtung unterzogen, in 83 wurden Stellen gefunden, die den Nahostkonflikt beziehungsweise Israel etwas ausführlicher behandeln – bis zu einem Beispiel aus Bayern mit 72 Seiten. Bayern ist allerdings auch das einzige Bundesland, in dem die Behandlung des Themas im Lehrplan zur Pflicht gemacht wird. Die Untersuchung der Schulbücher steht erst am Anfang. Mit dem Ergebnis, das wieder in eine – allerdings ebenfalls unverbindliche – Empfehlung münden soll, ist 2015 zu rechnen.
Ein besonders eklatantes Beispiel in Hinsicht auf eine unausgewogene Darstellung stellte die Lehrerin Kirsten Tenhafen vor. Das Grundschulbuch „LolliPop“ für die 3. und 4. Jahrgangsstufe entstand 2004, als der Bau des Sicherheitszauns – und die öffentliche Empörung über den Bau einer Mauer – ihren Höhepunkt erreichte; ein besonders problematischer Fall der Grenzziehung, der gerichtliche Verfahren nach sich zog, beeinträchtigte das Leben einer palästinensischen Familie – und wurde prompt zum Fallbeispiel für den Nahostkonflikt und Israel. Völlig aus dem Rahmen fallend wird ein Text der Zeitschrift Geolino präsentiert, die zur Identifikation mit einem palästinensischen Mädchen einlädt und dann noch in den Lehrermaterialien vorschlägt, die Kinder eine Mauer basteln zu lassen, um sie auf einen Kartenausschnitt zu stellen. Einer der von Sadowski erwähnten „Ausrutscher“?
Die Lehrermaterialien schlagen vor, eine Mauer zu bauen
Für SPME war das Buch Grund genug, beim Verlag Protest einzulegen. Die Verlagsleiterin des Bereichs Grundschule beim Cornelsen Verlag beantwortete die Kritik wie folgt: „Wir stimmen Ihnen zu, dass die Darstellung des Themas ‚Nahostkonkflikt‘ in den vorliegenden LolliPop-Materialien einseitig ausfällt und wir es damals versäumt haben, einen Artikel auch zur israelischen Perspektive auf den Konflikt anzubieten. Insofern bedanken wir uns für Ihre fundierte kritische Rückmeldung – sie gibt uns die Gelegenheit, den Titel an dieser Stelle entscheidend zu verbessern.“ Zugleich aber erklärt sie: „Es wird von seinen Nutzern erfolgreich eingesetzt, wir haben viele zufriedene Rückmeldungen dazu erhalten. Nicht zuletzt: Das Lesebuch als Ganzes wurde in zum Teil aufwändigen Genehmigungsverfahren durch verschiedene Kultusministerien geprüft und danach effektiv für den Primärunterricht zugelassen. Nach erfolgter Genehmigung können wir nicht ohne weiteres Bücher zurücknehmen, verändern oder irgendwie aus dem Verkehr ziehen.“
Auch wenn LolliPop ein besonders eklatanter Fall ist – es ist nicht das einzige Buch, in dem der Konflikt einseitig dargestellt wird. Generationen deutscher Kinder wachsen so mit einem Zerrbild von Israel auf, das sich auch in den Medien wiederspiegelt und so weiter verfestigt wird. Die Gefahr, so sahen es neben Dirk Sadowski auch Teilnehmer im Publikum, sei, dass das Thema ganz verschwinde, denn, so eine Lehrerin: „Das Thema ist viel zu heiß.“ Es sei „Provokation“ und zu kompliziert. Daher sei es wichtig eine Strategie zu entwickeln, wie dieses Schweigen aufgebrochen werden könne. Die meisten Lehrer drücken sich davor, selbst wenn die Schüler gerne darüber reden wollen, denn durch den „Arabischen Frühling“ sei es wieder auf eine neue Art und Weise in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Inwieweit Bücher einen großen Einfluss auf die Schüler haben oder die Vermittlung durch den Lehrer nicht eine größere Rolle spielt wurde genauso debattiert wie die Tatsache, dass der Versuch der Vermittlung einer (scheinbaren) Objektivität am Ende dazu führt, dass ein klarer Standpunkt fehlt – so fällt die Identifikation mit den Opfern leichter als eine Sichtweise, die daran erinnert, dass Israel eine pluralistische und demokratische Gesellschaft mit allen dazu gehörigen Problemen ist.
Wichtiger als Schulbücher scheint eine fundierte Weiterbildung der Lehrer
Fazit: Die meisten Schulbücher sind nicht geeignet, ein differenziertes Bild von Israel zu zeichnen. Das Problem geht allerdings noch weiter, wenn das Thema gar nicht erst in den Unterricht kommt. Wichtiger als Schulbücher wäre vermutlich eine fundierte Weiterbildung der Lehrer zum Thema, damit diese in der Lage sind, auf die Fragen der Schüler souverän einzugehen und die Komplexität der Lage wenigstens ansatzweise zu vermitteln. Israel und der Nahostkonflikt werden beherrscht von Vorurteilen: Wasserverschwendung, Wassermangel und Wasserhoheit sind beliebte Stichworte. Wasserforschung? Kein Thema – dabei gibt es gerade im wissenschaftlichen Bereich eine Vielzahl von erfolgreichen deutsch-israelischen Kooperationen. Es bleibt eine Menge zu tun, um das Bild gerade zu rücken. Und es ist abzusehen, dass das Thema uns noch eine Weile begleiten wird.